Belohnungen und Bestrafungen sind in der Erziehung weit verbreitet, aber sind sie wirklich effektiv? Julia Beerschneider, Erzieherin und Familienbegleiterin, erklärt, warum solche Maßnahmen oft mehr schaden als nutzen. Bindungsorientierte Erziehung dagegen kann Kindern helfen, gesunde Strategien zur Bewältigung von Herausforderungen zu entwickeln.
Belohnung und Bestrafung sind immer noch feste Bestandteile unserer Gesellschaft. „Wenn du jetzt nicht mitmachst, bekommst du später kein Eis.“ „Geh auf dein Zimmer und komm erst wieder, wenn du lieb bist.“ „Wenn du jetzt nicht mitkommst, gehe ich allein nach Hause“. Klassische Bestrafungen, Liebesentzug oder zeitweises Ignorieren gehören immer noch zum Alltag von vielen Kindern. Doch warum machen Eltern das? Vermutlich weil man möchte, dass das eigene Kind in die Gesellschaft passt und funktioniert. Viele kennen es sicher aus der eigenen Kindheit und denken, es hätte ihnen nicht geschadet. „Aus uns ist ja auch was geworden“, hört man oft. Doch stimmt das wirklich? Hat es nicht geschadet?
Kinder brauchen Trost und Rückversicherung
Wird einem Kind eine Strafe angedroht, zeigt es relativ schnell das gewünschte Verhalten. Es macht jedoch nicht mit oder unterlässt bestimmte Dinge, weil es wirklich dazu bereit ist, sondern weil es Angst vor der Strafe hat. Es handelt sich dabei also nicht um echte Kooperation. Meist besteht zwischen dem unerwünschten Verhalten des Kindes und der anschließenden Strafe kein Zusammenhang. Kindern wird so die Chance genommen, gemeinsam mit ihnen den Grund hinter ihrem Handeln herauszufinden. Wird ein Kind aus dem Raum geschickt oder anderweitig bestraft, fühlt es sich ungeliebt, unerwünscht und allein gelassen. Seine Bedürfnisse und Gefühle werden dabei völlig außer Acht gelassen. Häufige Scham- und Schuldgefühle können sich langfristig negativ auf das Selbstwertgefühl von Kindern auswirken. Aus Studien wissen wir inzwischen, dass Ablehnung die gleichen Gehirnregionen aktiviert wie körperlicher Schmerz. Emotionale Vernachlässigung und Liebesentzug beeinflussen die Gehirnentwicklung.
Drohungen und Bestrafungen haben also nicht den langfristig positiven Effekt, den Eltern sich wünschen. Im Anschluss an negatives Verhalten oder an Situationen, die anders gelaufen sind als erwartet, benötigen Kinder Trost und Rückversicherung – keine Trennung. Elterliche Liebe sollte nicht an Bedingungen geknüpft sein. Hinter jedem Verhalten steckt ein unerfülltes Bedürfnis. Dieses darf gemeinsam mit den Kindern herausgefunden und versucht werden, sie zu verstehen und Lösungen dafür zu finden. Nur so lernen Kinder auf lange Sicht gesunde Strategien kennen, wie sie mit Fehlern und Enttäuschungen umgehen und ihre Gefühle adäquat ausdrücken können.
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Anerkennung zeigen, ohne zu bewerten
Das Gegenstück zur Bestrafung ist ein Lob oder eine Belohnung. „Das hast du aber toll gemacht.“ „Wenn du die Schuhe anziehst, bekommst du von mir ein Gummibärchen.“ „Wenn du dein Zimmer aufräumst, bekommst du später ein Eis.“ Wo für viele inzwischen gut nachvollziehbar ist, dass Bestrafungen sinnlos sind, gehören Lob und Belohnung bzw. Belohnungssysteme noch zum gängigen Alltag. Mit einem Lob wollen Eltern ihre Anerkennung ausdrücken. Doch hinter jedem Lob steckt eine Bewertung, welche in unserer Leistungsgesellschaft gang und gäbe ist: je besser, umso angesehener. Von klein auf richten Kinder mit der Zeit ihr Verhalten und ihre Gefühle darauf aus, um eine gute Bewertung bzw. eine Belohnung zu erhalten. Die intrinsische Motivation, also das innere Verlangen, etwas zu schaffen, wird dabei unterdrückt. Die meisten Kinder beziehen Lob und Belohnung automatisch auf ihre Person, wohingegen ausbleibendes Lob dazu führen kann, dass sie sich abgewertet fühlen.
Werden Kinder häufig gelobt oder belohnt, können sie verinnerlichen, dass sie nur geliebt werden, wenn sie etwas leisten und funktionieren. Sie entsprechen den gestellten Anforderungen, ohne sich dabei frei entfalten zu können und tun bestimmte Dinge nur der Belohnung und des Lobes wegen.
Wie also Anerkennung zeigen, ohne zu bewerten? Wir können beschreiben, was wir sehen und uns gemeinsam mit unseren Kindern über bestimmte Ereignisse oder Verhaltensweisen freuen. Indem wir Fragen stellen, unsere Kinder ermutigen und ihnen echte Aufmerksamkeit schenken, können wir mit ihnen in Beziehung gehen, wodurch nachhaltig ihr Selbstbild und ihr Selbstbewusstsein gestärkt werden. Kinder sollten von Beginn an eine bedingungslose Liebe erfahren dürfen und lernen, dass es leicht ist, sie zu lieben. Völlig unabhängig von ihrem Verhalten.