Kleine Kinder, große Emotionen: Die Autonomiephase ist für Eltern und Kinder eine echte Herausforderung. Wie kann man Konflikte gelassener meistern, ohne die eigenen Grenzen zu überschreiten? Das sagen unsere Expertinnen.
Unsere Tochter ist zweieinhalb und steckt mitten in der Autonomiephase. Alles möchte sie selbst entscheiden und selbst machen. Kürzlich hatten wir wieder einen dieser Tage, an denen wir gefühlt nur miteinander kämpfen. Zuerst gab es ewige Diskussionen wegen des Anziehens, beim Frühstück und beim Zähneputzen. Als wir endlich das Haus verlassen hatten, um in die Kita zu fahren - inzwischen waren wir schon spät dran - wollte sie partout nicht ins Auto. Sie wollte nicht selbst einsteigen und reinsetzen durfte ich sie schon gar nicht. Minutenlang saß sie streikend und schreiend auf dem Boden. Alles Zureden und sogar ein Bestechungsversuch blieben erfolglos. Am Ende platzte mir der Kragen und ich habe sie angeschrien. Was ich genau gesagt habe, weiß ich nicht mehr, aber in etwa, dass sie sich immer unmöglich aufführen würde und wie undankbar sie wäre. Als ich sie am Nachmittag abgeholte, habe ich mich bei ihr für das Gesagte entschuldigt. Im Nachhinein kam ich mir richtig kindisch und doof vor, wie ich am Morgen reagiert hatte. Wie kann ich in Konflikten mit meiner Tochter gelassener bleiben und gewaltfrei kommunizieren?
1Gelassenheit durch Grenzen
Ich kann Ihren Frust sehr gut nachvollziehen, diese Phase ist sicher mit eine der schwierigsten in der frühkindlichen Entwicklung. Aber es ist nicht nur für Sie schwer sondern auch für Ihre Tochter, denn diese muss lernen, mit so vielen Gefühlen und Frustrationen umzugehen. Die Kinder werden dabei oft förmlich überrollt, aber sie lernen auch wichtige Dinge, vor allem den Umgang mit Stress und Frustration. Kinder wollen in diesem Alter viel tun was sie noch nicht können oder nicht dürfen. Damit sind Konfliktpotenziale vorprogrammiert. Um ein bisschen Stress raus zu nehmen ein Tip: wenn Kinder zu viel Auswahl haben, sind sie schnell überfordert. Geben Sie ihrer Tochter, wenn sie z.B. zum Essen oder Anziehen etwas auswählen darf, maximal zwei Optionen. Eine andere Möglichkeit ist, die Kleidung schon am Abend vorher auszuwählen und bereitzulegen. Beim Frühstücken können Sie Ihre Tochter den Brotkorb oder das Müsli selber auf den Tisch stellen lassen. Dadurch fühlt sie sich nicht so stark fremdbestimmt. Wenn es wieder zu einem Anfall kommt, empfehle ich, ruhig zu bleiben (ich weiß das ist leichter gesagt als getan) und nicht zu viel zu reden. Das meiste kommt eh nicht an. Besser ist es, danach noch mal die Situation zu besprechen. Notfalls aus dem Zimmer gehen mit den Worten: wenn du dich beruhigt hast komme ich wieder oder Ihre Tochter in ihr Zimmer schicken. So eine kleine Auszeit ist oft für beide Seiten sinnvoll. Ein Patentrezept gibt es leider nicht, aber jede Phase geht einmal vorbei. Und Sie müssen kein schlechtes Gewissen haben, wenn Sie selbst einmal wütend werden, ihre Tochter muss lernen, dass auch Eltern Grenzen haben, die man respektieren muss. Und eine gute Eltern-Kind Beziehung hält das aus
2Ruhe bewahren hilft
Es stellt sich für mich die Frage, warum unsere Kinder sich immer wieder so benehmen. Ich denke, sie sind in diesen Momenten aus irgendeinem Grund selbst überfordert. Sie wollen ja eigentlich kein Ekelpaket sein. Mit diesem Wissen versuche ich die Situation erst gar nicht eskalieren zu lassen. Wenn das Diskutieren beginnt und ich spüre, wie ich immer gereizter werde, verlasse ich mit klarer Ansage den Raum, atme gut durch und sobald ich mich beruhigt habe und wieder freundlich sein kann, beginne ich aufs Neue. Je schneller und klarer ich verbal formuliere, dass ich jetzt auch an meine Grenzen gekommen bin, wir los müssen, ich in meinem Job, sie in ihren Job (Kindergarten, Schule) desto schneller ist alles wieder gut. Eine nicht zielführende Endlos-Schleife entsteht, wenn ich mich auf alle Diskussionen einlasse. Dabei überrascht mich immer wieder, wie schnell auch ein zweijähriges Kind die Situation versteht.
3Übung schafft Gelassenheit
Erst einmal möchte ich Sie gerne beruhigen: es ist völlig normal und in Ordnung, wenn Eltern ab und zu die Geduld verlieren, und auch, wenn sie diese Gefühle in der Interaktion mit ihrem kleinen Protestler deutlich zeigen. Nur die Nerven dürfen sie eben nicht verlieren, sprich: nicht schlagen, böse anschreien oder empfindlich kränken. Aber davor gibt es noch ein großes Spektrum angemessener elterlicher Verhaltensweisen, je nach Temperament, aktuellem Belastungsgrad und spezifischem Kontext:
Wenn ich als Mensch eher extrovertiert, gesellig und eloquent bin, werde ich im Hotspot auch entschiedener und lauter mit meinem Kind verhandeln. Dieses wiederum kennt seine Mama so und weiß, wie es die Ansagen einordnen soll. Eine generell ruhigere Mama braucht nur ein bisschen lauter und entschiedener werden, um dem Kind ihre Botschaft deutlich zu vermitteln. Wenn sich ein langer, temporeicher Familientag dem Ende zuneigt, verfügt frau/ man nicht mehr über so viel Ressourcen demokratischer Erziehungskunst und darf die sonst praktizierte Gelassenheit mal lassen und -schon zum Selbstschutz- klarere Ansagen machen. Wenn sich Kleinkind-Eltern-Konflikte im öffentlichen Rahmen inszenieren (sehr gerne z.B. beim Anstehen an der Supermarktkasse) und viele Augenpaare Mamas oder Papas Erziehungsverhalten zu prüfen scheinen, bewährt es sich meist, auf lange Diskussionen zu verzichten und die Aufmerksamkeit des Kindes auf andere Dinge zu lenken. Für nachhaltiges erzieherisches Wirken braucht man Ruhe und ganz bestimmt keine Bühne für Gaffer und Besserwisser.
Das erste Prinzip der „gewaltfreien Kommunikation“ in Konfliktsituationen, auch und gerade in familiären, ist ihrem Entwickler M.D. Rosenberg zufolge, das Verhalten des Gegenübers erst einmal wertfrei zu beobachten. Das hieße in dem von Ihnen beschriebenen Fall etwa: „Wenn du deine Sachen jetzt nicht anziehst, kommen wir zu spät in den Kindergarten (ich dann in die Arbeit o.Ä.)“. Dann geht es darum, die eigenen Gefühle (z.B. Ärger, Wut, Frustration etc.) erst einmal wahrzunehmen, was sich - nach entsprechender Übung - gut an den eigenen, deutlich wahrnehmbaren körperlichen Empfindungen ablesen lässt, und diese dann angemessen auszudrücken, etwa: „Ich bin verärgert“, gefolgt von der Äußerung des eigenen, im Moment unerfüllten Bedürfnisses, etwa: „weil ich pünktlich in der Arbeit sein will.“ Schließlich folgt - formuliert je nach Alter des Gegenübers - eine Bitte um die konkrete Handlung im Hier und Jetzt, am besten positiv ausgedrückt, etwa: „darum zieh dich jetzt bitte an.“ Das ist natürlich alles erst einmal leichter hingeschrieben, als in der aktuellen Konfliktsituation umgesetzt, aber mit der Zeit kann so aus dem ewigen Hin- und Her-Diskutieren, Erklären und Bestechen schon ein entspannteres Miteinander von Eltern und Kind werden. Letztendlich akzeptieren und schätzen Kinder einen offen und klar gesteckten Rahmen, an dem sie sich orientieren können, weil er ihnen Sicherheit durch Voraussehbarkeit gibt. Jedenfalls entschlüpfen uns dann weniger Verallgemeinerungen wie „Du führst dich immer unmöglich auf“ oder wertende Zuschreibungen wie „Du bist undankbar!“ Aber keine Sorge, auch solche „Versprecher“ sind verzeihlich, wenn wir uns später dafür entschuldigen. Auf die entschiedene Ansage eines Kindes, es habe keine Lust, dies oder jenes zu tun (z.B. den Mülleimer hinunterzutragen), würde der kürzlich verstorbene Kindertherapeut und Elternberater Jesper Juul übrigens in etwa geantwortet haben: „Ja, das versteh ich! Aber du musst gar keine Lust drauf haben, du brauchst es nur tun.“ In diesem Sinne: Übung macht Gelassenheit!
Titelbild gemalt von Klara (7)
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