Leben, Mütter, Väter

Leben mit einer seltenen Krankheit

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Ulla Gordon

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Colin leidet an metachromatische Leukodystrophie, kurz MLD. MLD führt zu irreversiblen Abbauprozessen in der weißen Hirnsubstanz. Es gibt keine Behandlungsmöglichkeit und keine Aussicht auf Heilung. Seine Eltern erzählen, wie die Familie es geschafft hat, mit der niederschmetternden Diagnose zu leben.

Ulla Gordon und Andrea Poppek verbindet eine jahrzehntelange, enge Freundschaft. Trotzdem war Ulla ein wenig nervös, als sie Andrea bat, über Colin und die Situation der Familie schreiben zu dürfen. Zum Glück waren Andrea und ihr Mann Jürgen gerne bereit, von ihrem Alltag zu erzählen.

Die metachromatische Leukodystrophie, kurz MLD, ist eine neurodegenerative, rezessive Erbkrankheit, die etwa eines von 40.000 Kindern betrifft. Rezessiv bedeutet, dass beide Eltern Träger eines defekten Gens sind, selbst aber nicht erkranken. Ihre Kinder sind entweder vollkommen gesund, werden ebenfalls zu Trägern oder erkranken (mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent). MLD führt zu irreversiblen Abbauprozessen in der weißen Hirnsubstanz, was schwere motorische und neurokognitive Schäden zur Folge hat. Bricht die Krankheit vor dem dritten Lebensjahr aus, haben die Kinder meist nur eine Lebenserwartung von sieben bis zehn Jahren.

Colin war 1,5 Jahre alt, als sich erste, schleichende Veränderungen bemerkbar machten. Er krabbelte und zog sich an Möbeln hoch, aber mit dem Laufen wollte es nicht so recht klappen. Sein Wortschatz war leicht begrenzt. Die Hoffnung, dass er einfach ein bisschen spät dran war, wurde von der Sorge abgelöst, dass etwas Grundlegendes nicht stimmt. Es folgte eine mehrwöchige Odyssee bei Ärzten und Spezialisten, schließlich stellte die Kinderklinik in Tübingen die niederschmetternde Diagnose in den Raum: keine Behandlungsmöglichkeit, keine Aussicht auf Heilung, Verlust aller motorischen und geistigen Fähigkeiten. Wie geht man mit so einer Diagnose um? Die Familie zog sich zurück und versuchte sich neu zu ordnen, da waren so viele Fragen, auf die es keine Antwort gab. Zunächst stemmten sie alles alleine, versuchten eine neue Normalität zu schaffen, die beiden älteren Schwestern nicht zu kurz kommen zu lassen und sicher zu stellen, dass Colin alles hat, was er braucht. Er war inzwischen knapp zwei und hatte Probleme beim Schlucken und Sitzen. Mit fortschreitendem Verlauf der Krankheit wurde der Alltag aber immer mehr zum Kraftakt, Colin erblindete und muss künstlich ernährt werden, seine Sauerstoffsättigung wird rund um die Uhr überwacht – Andrea und Jürgen haben die letzten vier Jahre vermutlich keine Nacht mehr richtig durchgeschlafen. Schließlich wurde klar, dass es ohne Hilfe von außen nicht geht. Wie die Familie Unterstützung bekam und wie es allen heute geht, das möchten Andrea und ihr Mann Jürgen gerne erzählen.

Wo habt ihr Hilfe gefunden?
Direkt nach der Diagnose haben wir uns an das Kinderpalliativteam des Klinikums Amberg gewandt. Von den Ärzten und Kinderkrankenschwestern dort haben wir von Anfang an große Unterstützung erfahren, das Team ist für die ganze Familie da und hilft zum Beispiel auch bei der Kommunikation mit Behörden. Wir sind unglaublich froh, dass durch die Arbeit des Palliativteams schwerkranke Kinder zuhause betreut werden können, mit all der medizinischen Unterstützung, die benötigt wird. Wir können rund um die Uhr anrufen und innerhalb von einer Stunde ist jemand da, das hilft ungemein und ist sehr beruhigend.

"Es war ein langer und schwieriger Prozess, in den alle reinwachsen mussten."

Womit hattet ihr zu kämpfen?

ANDREA: Es fiel mir wahnsinnig schwer, Colin in andere Hände zu geben. Ich war lange nicht bereit, Hilfe von außen anzunehmen, mir einzugestehen, dass ich es alleine nicht schaffe und dass ich meiner Familie nicht mehr gerecht werden kann. Auch hier hat das Palliativteam geholfen. Wir haben zwei tolle Kinderintensivpfleger bekommen, die sich nicht nur wahnsinnig gut um Colin kümmern, sondern auch super mit der ganzen Familie klarkommen.
JÜRGEN: Es war ein langer und schwieriger Prozess, in den alle reinwachsen mussten. Einigen unserer Freunde fiel es schwer, mit dem Thema umzugehen. Wir haben dann immer versucht, auf sie zuzugehen und zu signalisieren, dass wir gesprächsbereit sind. Aber manchmal haben wir uns auch bewusst zurückgezogen. Die ganze Flexibilität war plötzlich weg, wir konnten nicht mehr spontan ausgehen oder in Urlaub fahren. Mit Colin irgendwo hinzufahren, erfordert viel Organisation und Logistik, das geht nicht spontan: Morphinpumpe, Sauerstoff und Ernährungspumpe müssen mit.

Konntet ihr in den letzten Jahren überhaupt Urlaub machen?

Das Kinderpalliativteam hat uns an das Kinderhospiz in Bad Grönenbach vermittelt. Im Gegensatz zum Erwachsenenhospiz ermöglicht das Kinderhospiz den Aufenthalt mit der gesamten Familie, das heißt die schwerkranken Kinder werden betreut und die übrigen Familienmitglieder haben Zeit für sich. Das ist für uns an sich die einzige Möglichkeit, Urlaub zu machen. Diesen Sommer hat uns das Palliativteam ein Wohnmobil gesponsort, da waren wir alle zusammen für ein verlängertes Wochenende auf dem Campingplatz – das war auch toll.

Welche Angebote gibt es in Regensburg?
In Regensburg gibt es leider keinerlei Kinderhospizarbeit, weder ambulant noch stationär. In Süddeutschland gibt es nur zwei Kinderhospize (Stuttgart und Bad Grönenbach). Mittel- und Norddeutschland ist in dieser Hinsicht besser aufgestellt, dort gibt es auch ambulante Hospizdienste und viel mehr Angebote für die Geschwisterkinder, die ja leider immer etwas zu kurz kommen. Die Frühförderung vom Blindeninstitut in Regensburg ist toll. Dort ist Colin seit 2019 im Kindergarten, mit Kindern, denen es ähnlich geht wie ihm, und wird seinen Möglichkeiten entsprechend sehr gut und liebevoll gefördert.

Was ist heute einfacher, wie sieht euer Alltag aus?
JÜRGEN: Mein Arbeitgeber hat mich von Anfang an gut unterstützt und mir bereits vor Corona die Arbeit im Home-Office ermöglicht, wenn es spontan notwendig wurde. Heute kann ich den Großteil der Zeit von Zuhause arbeiten und unseren Alltag viel besser mit dem Berufsleben in Einklang bringen.
ANDREA: Alles steht und fällt mit Colins Gesundheitszustand. Ist er stabil, dann läuft alles. Es macht auch einen großen Unterschied, ob Colins Pfleger Dennis bei uns ist. An solchen Tagen habe ich auch mal mehr Zeit für unsere beiden Töchter. Zum Glück kann auch meine Mutter inzwischen wieder zu Besuch kommen, sie ist uns eine sehr große Stütze und eine wunderbare Omi für alle drei Enkelkinder.

Anmerkung der Redaktion: Kurz nach dem Erscheinen der letzte Elternzeitung, die den Bericht "Leben mit einer seltenen Krankheit" enthielt, ist Colin überraschend und friedlich zuhause eingeschlafen. Seine Familie war bei ihm. Wir wünschen seinen Eltern und seinen Schwestern viel Kraft.

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