Leben, Schulkind

Wackeln die Zähne, wackelt die Seele ...

von Jessica Loy (Sozialpädagogin/ Bindungs- und Beziehungsorientierte Eltern- und Familienberaterin)

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Mit dem Zahnwechsel und dem Übergang von Kindergarten zur Schule verändert sich etwas in unseren Kindern: Sie schwanken Selbstbestimmung und Bindung – auch für Eltern ist das keine einfache Phase.

Die Wackelzahnpubertät beschreibt die Zeitspanne zwischen etwa dem fünften und dem zwölften Lebensjahr eines Kindes, also die Jahre zwischen der Kleinkindphase und dem Übergang zum Jugendlichen. Mit dem Zahnwechsel und dem Übergang von Kindergarten zur Schule verändert sich etwas in unseren Kindern. Nicht nur, dass der rundlichere weiche Kleinkindkörper verschwindet und die Kinder nun deutlich in die Länge wachsen, auch emotional und kognitiv finden große Veränderungen statt. Zimmertüren werden geschlossen, Freunde zu wichtigen Bezugspersonen, Regeln und Abmachungen kommen auf den Prüfstand, erste Hänseleien kommen auf, Gerechtigkeit wird häufig diskutiert, um nur ein paar der aufkommenden Themen zu nennen.

Mit dem Bedürfnis, unabhängig zu werden und gleichzeitig in Verbindung zu sein, wird jeder Mensch geboren. Diese beiden emotionalen Grundbedürfnissen bilden ein Spannungsfeld und werden in verschiedenen Entwicklungsstadien angesprochen.

Mit dem Eintritt in die Schule beginnt für Kinder, aber auch für Eltern ein völlig neuer Lebensabschnitt.

Übergang in ein völlig neues Lebensfeld

Kinder kommen nach dem Kindergarten in ein völlig neues Lebens- und Lernfeld, die Schule. Doch bereits ab dem Vorschulalter, sind Kinder mit diesem Übergang von außen konfrontiert: „Jetzt bist du dann bald Schulkind.“ Zum einen herrscht eine große Freude, zum anderen sind die Kinder verunsichert, was das Neue denn wohl ist. Zweiteres kann häufig noch nicht kommuniziert werden und wird sichtbar im Verhalten. Auch Freundschaften, Sportvereine, die ersten Übernachtungen, also viele Felder ohne den sicheren Hafen der Bindungspersonen kommen hinzu. Die Kinder müssen sich nun in vielen Bereichen selbst behaupten.

Auf emotionaler Ebene schwingen die Kinder sehr stark zwischen dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung und dem Bedürfnis nach Verbindung, oder anders ausgedrückt zwischen dem, was sie selbst möchten und dem was, das Gegenüber/ die Gruppe möchte. Die Kinder fühlen diese verschiedenen Bereiche nun zum ersten Mal und dürfen die verschiedenen Wege beschreiten. Für was entscheide ich mich? Wie setzt man Grenzen? Wann sagt man „nein“? Wann nehme ich mich selbst zurück?

Das Hinauswagen in die große Welt und dann aber doch wieder schnell zurück in den sicheren Hafen, ist für Eltern oft schwierig im Erleben. Da ist auf der einen Seite das sichtbar große Kind, das zur Schule geht, und auf der anderen Seite das spürbar kleine Kind, das nachts plötzlich wieder im Elternbett schlafen möchte.

Wackelzahnpubertät – ein großes Erfahrungsfeld für unsere Kinder, aber vor allem für uns Eltern.

Wenn wir dieses „dazwischen“ in uns wahrnehmen und spüren können, werden wir anders auf unsere Kinder blicken und sie begleiten. Jedes Verhalten hat einen Sinn, es befriedigt ein emotionales Grundbedürfnis und ist Teil des Entwicklungsprozesses zum freien und unabhängigen Erwachsenen. Wir dürfen unsere Kinder darin begleiten, ihre emotionalen Grundbedürfnisse auf gesunde Weise zu befriedigen und damit einen der wichtigsten Bausteine für die psychische Gesundheit legen. Den größten Effekt hat dabei einerseits das eigene Vorleben: Wie gehen wir selbst mit Situationen um, die wir beispielsweise nicht gerne tun? Wie verhalte ich mich bei ungeliebten Aufgaben wie frühmorgens aufstehen, Haushalt machen, in die Arbeit gehen etc. Wie kommunizieren und zeigen wir unsere Grenzen und wie stehen wir dafür ein? Und andererseits sind wir herausgefordert, uns selbst zu überprüfen, mit welchem Blick wir unser Kind sehen: Ist meine Haltung geprägt von echtem Interesse am Kind und der Frage "Wer bist du?" oder verhafte ich in einem "Wer sollst du für mich sein”?

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