Leben

Wie man mit seinen Kindern übr Armut sprechen kann

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von Laura Holler, Sozialpädagogin des DONAUSTRUDL

Manche Menschen sehen keinen anderen Ausweg mehr, als sich in einer Fußgängerzone auf den Boden zu setzen und nach Geld zu betteln. Warum ist das so? Ein Vorschlag für eine kindergerechte Erklärung.

Das moderne wissenschaftliche Verständnis von Armut in wohlhabenden Gesellschaften berücksichtigt – neben den monetären Faktoren – viel mehr den strukturellen Aspekt der Entstehung und Auswirkungen von Armut. Überwiegend sind bestimmte Gesellschaftsgruppen betroffen, die aufgrund von spezifischen Merkmalen von Teilen des sozialen Lebens ausgeschlossen sind und daher nur beschränkten Zugang zu wichtigen Lebensbereichen, wie z.B. Arbeit, Kultur, Bildung und Gesundheit und somit auch zu finanziellem Wohlstand erhalten.  Die Gründe hierfür sind vielseitig, beeinflussen sich wechselseitig und sind stark von Faktoren wie beispielsweise der Leistungsfähigkeit, dem Gesundheitszustand, dem Bildungsgrad aber auch von Herkunft oder Aussehen abhängig. Die Exklusion aus solch relevanten Lebensbereichen kann sogar so weit führen, dass Menschen keinen anderen Ausweg mehr haben, als sich in einer Fußgängerzone bei kalten Temperaturen auf den Boden zu setzen und nach Geld zu betteln. Der Donaustrudl versucht diesen Menschen dabei zu helfen, einen Teil ihrer Würde durch den Verkauf von Straßenzeitungen wieder herzustellen.

„Mama, Papa, warum sitzt der Mensch da auf der Straße und bettelt?“

Laura Holler

Nun beschäftigt sich nicht jeder Mensch mit Armut als ein soziales, strukturell zu betrachtendes Phänomen, wodurch viele verschiedene Meinungen und auch Vorurteile zu den betroffenen Personengruppen im öffentlichen Diskurs existieren. Viele Menschen sind der Auffassung, es sei eine Art individuelles Versagen, Faulheit, mangelnde Disziplin. Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse sprechen jedoch gegen dieses Narrativ. Wenn Sie sich fragen, welche Stellung Sie zu bettelnden Menschen in der Fußgängerzone beziehen bzw. was sie auf die Warum-Frage Ihrer Kinder antworten sollen, ist hier mein Vorschlag:

Ich persönlich finde es sehr wichtig, Werte wie Offenheit und Toleranz vorzuleben und seinen Teil zur sozialer Gerechtigkeit beizutragen. Das heißt betroffene Personen nicht zu verurteilen oder als faule Versager darzustellen, die selbst schuld an ihrer Situation sind. Denn ein solches Verständnis fördert die Entstehung von Vorurteilen, Stigmatisierung von Personengruppen, der Verfestigung transgenerationaler Armut und Schamgefühlen bei Betroffenen. Wie immer sind soziale Phänomene komplex und ein wechselseitiger Prozess zwischen Individuum und Gesellschaft und machen eine kindgerechte Übersetzung der Thematik daher so schwierig. Eine Möglichkeit, die zumindest die Schuld vom Individuum nimmt, ist folgende:

Armut und die Notwendigkeit des Bettelns, ist zu großen Teilen ein Ergebnis daraus, wie viel Glück oder Pech man mit den Umständen oder der Situation hatte, in die man hineingeboren wurde und unter der man aufgewachsen ist. Manche Sachen, wie Wohnung, Geld und Essen sind ungleich verteilt auf der Welt. Manche bekommen mehr, manche weniger.

Mit der unfairen Verteilung von Ressourcen machen Kinder im Laufe ihres Aufwachsens früher oder später Erfahrung, was häufig zu unglaublich großen Gefühlen der Wut führt. Ein Einfühlen und somit Verständnis dieser Situation sollte daher schon möglich sein, wenn Ihr Kind ein gewisses Alter erreicht hat. Was allerdings als gerechte Verteilungdefiniert wird, muss die Sozial- und Wirtschaftspolitik eines Landes entscheiden und müssen Sie in der Erziehung Ihrer Kinder und im Familienleben selbst definieren.

„Glück“ oder „Pech“ sind hier natürlich stellvertretend für komplexe soziale Prozesse. Und verstehen Sie mich nicht falsch: Armut muss kein unabwendbares Schicksal sein. Persönliche Ressourcen eines Individuums, wie Intelligenz können dem Armutsrisiko je nach Ausprägung ausgleichend entgegenwirken, sie sind jedoch gegen strukturelle Benachteiligung nur begrenzt wirksam. Viele Statistiken deuten darauf hin, dass einzelne Individuen in diesem Zusammenhang wenig Handlungsspielraum haben und Armut sich über Generationen hinweg tendenziell verfestigt.

Der Umgang mit bettelnden Personen vor meinem Kind

Genauso wie die Entstehung von Armut nicht als individuelle Verantwortung oder Schuld verstanden werden kann, so ist die Problemlösung ebenfalls nicht individueller Natur. Das heißt, Sie müssen sich nicht schlecht fühlen, wenn Sie bettelnden Menschen kein Geld geben. Sie allein werden deren Notlage nicht lösen können. Allerdings spricht natürlich (fast) nichts dagegen, insofern Sie Geld übrighaben, diese Notlage mit ein paar Euro zu lindern. Entscheiden Sie hier einfach nach Bauchgefühl und Sympathie - niemand kann Ihnen hier etwas vorschreiben. Wenn Sie der bettelnden Person etwas Gutes tun und Sie aber wissen wollen, was mit dem Geld passiert, können Sie auch nachfragen, ob sie ihr etwas im Supermarkt, Bäcker oder Drogeriemarkt kaufen sollen.

Aus Gesprächen mit bettelnden und obdachlosen Menschen habe ich am häufigsten mitgenommen, dass das Schlimmste für viele von Ihnen ist, ignoriert und wie Luft behandelt zu werden. Die bettelnden Personen erwarten ohnehin nicht, dass jeder vorbeigehende Mensch ihnen Geld gibt.

Ein freundliches Hallo, ein Lächeln oder je nach Situation ein paar kurze Worte zu wechseln, stellt eine sehr gute Alternative zum Geldgeben dar. Hierzu können Sie auch ihr Kind anhalten. Scheuen Sie sich nicht vor dem Kontakt zu bettelnden Personen.

Natürlich gilt dies nur, insofern Sie sich damit wohl fühlen, es sich leisten können, etwas abzugeben und es sich um friedlich bettelnde Personen handelt. Sollten Sie sich bedrängt oder unwohl fühlen ist das natürlich etwas anderes.

Wie erkenne ich, ob es sich um organisiertes Betteln durch eine Bande handelt?

Eine Unterscheidung zwischen organisiertem und gewöhnlichem Betteln ist und bleibt schwer, wobei man nicht alle bettelnden Menschen mit osteuropäischer Migrationsgesichte in eine Schublade stecken sollte. Es kann sein, dass Ihnen manche Personen aufdringlich erscheinen, Sie direkt ansprechen oder mit simulierten Behinderungen oder im Beisein von Kindern betteln.

Je aggressiver und mitleiderregender das Vorgehen der Bettelnden, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um organisiertes Betteln durch eine Bande handelt.

Solche Personen sind nicht frei in ihren Handlungen und werden teilweise gewaltsam von Bandenführern unter Druck gesetzt. Das sogenannte aggressive, also aufdringliche Betteln, ist in Deutschland - egal durch wen - nicht geduldet und wird vom Ordnungsamt je nach Kommune mit Geldbußen bestraft. Hier können Sie jegliche Anfragen getrost ablehnen. So können Sie das mit Sicherheit auch Ihrem Kind verständlich näherbringen. Dieses Thema bleibt jedoch kompliziert und ist bestimmt nicht einfach zu erklären.

Bei Zeitungs-Verkaufenden des DONAUSTRUDL mit gültigem Verkäuferausweis können Sie sich sehr sicher sein, dass es sich nicht um Anhänger:innen organisierten Bettelns handelt, da wir gewisse Regeln und Hürden bei der Aufnahme etabliert haben, die Mitglieder organisierten Bettelns in dieser Form nicht akzeptieren würden. Wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass Sie hilfebedürftige Menschen guten Gewissens finanziell unterstützen können!  

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