Heidi Zorzi hat Generationen von Kindern, Jugendlichen und Eltern begleitet: Als Psychotherapeutin, Autorin, Supervisorin – und nicht zuletzt als engagierte Mutter und Großmutter. In unserer Hommage blicken wir auf das beeindruckende Lebenswerk der Regensburgerin zurück, die sich nie gescheut hat, neue Wege zu gehen und mit Leidenschaft für das Wohl der jungen Menschen einzustehen.
Nutze die Zeit – denn sie ist, wie immer, knapp“. So lautet das Motto von Heidi Zorzi – der mittlerweile siebzigjährigen, regional bekannten Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin. Höchste Zeit für eine Würdigung des Lebenswerks dieser interessanten Regensburgerin.
Viele kennen Heidi Zorzi als Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin, die unzähligen Kindern und ihren Eltern in schwierigen Lebenssituationen geholfen hat. Gleichzeitig ist sie selbst vierfache Mutter und Großmutter. Aber auch als Supervisorin, Autorin und Rezensentin hat sie sich über die Jahrzehnte hinweg einen Namen gemacht. In der Regensburger Elternzeitung schreibt sie seit vielen Jahren ehrenamtlich wertvolle Artikel, gibt Ratschläge, moderiert Podiumsdiskussionen oder nimmt als Expertin an Veranstaltungen teil.
Wir sitzen also in einem ihrer inzwischen häuslichen Therapieräume und lassen ihr Leben Revue passieren.

Als Einzelkind in Regensburg aufgewachsen, genauer in der königlichen Villa am Ostentor, in unmittelbarer Nähe zum Klarissinnenorden und sehr katholisch sozialisiert. Daher kam vermutlich auch ihr Bedürfnis, Mitmenschen zu helfen, Heidi Zorzis erster Berufswunsch war es, Nonne zu werden, „möglichst heilig und sündenfrei“. Nach dem Abitur lebte sie nacheinander in zwei WG´s, der Studentenbewegungs-Epoche gemäß mit hohem politischen Anspruch und entsprechendem Engagement. Zunächst wollte sie Medizin studieren, um Kinderärztin zu werden. Aber ein Abi-Notenschnitt von 2,4 reichte auch schon damals nicht. In der Hoffnung, dies als Bonus angerechnet zu bekommen, absolvierte sie erst einmal eine sechswöchige Ausbildung zur Schwesternhelferin in Landshut und arbeitete danach ein Jahr im Kreiskrankenhaus Wörth. In dieser Zeit entwickelte sich ihr Interesse für die Psyche der Menschen, Herr Freud lässt grüßen! Per Los ergatterte sie sich im Nachrückverfahren einen Psychologie-Studienplatz in Regensburg, manchmal muss man Glück haben! Das Psychologiestudium in Regensburg war in den siebziger Jahren noch sehr offen und ohne stilbildende Richtung, das Miteinander von Studenten und wissenschaftlichem Personal sehr persönlich und gut. Vielen sagt vielleicht das Psychologenehepaar Grossmann und Großmann etwas, das richtungsweisende Forschungen im Rahmen der Bindungstheorie betrieben und damit das fachliche Renommee der Uni Regensburg überregional spürbar vergrößert hat. Wie alle Psychologiestudenten musste auch Heidi Zorzi bald feststellen, dass das Grundstudium reichlich mathematisch und methodenorientiert war, was zunächst wenig Lernlust aufkommen ließ. Erst im Hauptstudium und mit der Diplomarbeit - über randalierende Fans des FC Bayern München - fand sie die ersten Zugänge zur bis heute anhaltenden Leidenschaft für therapeutisches Handeln.
„Schau, dass es für Dich passt! Falls es nicht passt, ändere nicht dich grundlegend, ändere die Richtung!“

Im vorletzten Semester kündigte sich dann auch schon das erste Baby an. Für Kinder hatte sie schon immer ein Faible, und in Karl hatte sie offensichtlich den richtigen Partner gefunden, der all die Projekte inklusive Kinder mit ihr stemmen wollte und konnte. Heiraten, so Heidi Zorzi, hielt sie in ihrer studentenbewegten Zeit für überflüssig und „bürgerlich“. Als Karl nach der Entbindung darauf bestand, entstand der Kompromiss einer „heimlichen Eheschließung“. Sie habe vermeiden wollen, „wie eine verheiratete Frau behandelt zu werden“.
„Das erste Kind war die größte Veränderung in meinem Leben. Während ich vorher recht gelassen mit Lern- und Freizeiten jonglierte, war ab jetzt durchdachtes Zeitmanagement und Struktur angesagt“. Die ersten Jahre mit der kleinen Tochter verbrachten sie noch in Wohngemeinschaft, nach dem 4. Geburtstag der Tochter zogen sie in eine Familienwohnung in der Innenstadt.

Während des Studiums trug Heidi zwei Jahre lang als studentische Hilfskraft im Fach „Statistik für Psychologiestudenten“ zum Familieneinkommen bei. Nach dem Studienabschluss arbeitete sie vier Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin (Promotionsversuch über das Thema Mütter mit Kleinkindern) am Lehrstuhl für „Pädagogische Psychologie“ bei Professor Lukesch. 1987 kam das zweite Kind, ein Sohn. Da ihr das Schreiben immer Spaß gemacht hat, begann sie - von zu Hause aus – für die Zeitschrift „Spielen und Lernen“ Rezensionen und kleinere Artikel zu schreiben. Als sich 1989 Kind Nummer drei, ein Mädchen, ankündigte, akquirierte eine Studienkollegin sie als Mitarbeiterin in ihrer Praxis für forensische Psychologie. In den folgenden 10 Jahren arbeitete Heidi Zorzi v.a. als forensische Sachverständige in der Glaubhaftigkeitsbegutachtung von Zeugenaussagen. Im Auftrag der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft musste sie die Aussagen von kindlichen und jugendlichen ZeugInnen in Ermittlungsverfahren zum Thema sexueller Missbrauch und Vergewaltigung auf ihren Erlebnisgehalt hin prüfen. „Das Thema `Traumatisierung von Kindern und Jugendlichen´ hat bei mir offensichtlich einen besonderen Nerv getroffen“ und so begann sie, parallel eine sechsjährige Ausbildung zur „Personenzentrierte Spieltherapeutin“. 1993 kam schließlich das vierte und letzte Kind, ein Sohn zur Welt, die Familie war nun komplett. Das Bedürfnis nach mehr Zimmern und einem Garten und die Tatsache, dass Heidi Zorzis Vater als Architekt bislang noch nie ein Haus für ein Familienmitglied geplant hatte, führte endlich zu dem Entschluss, in einer Baulücke im damaligen Burgweintinger Neubaugebiet ein eigenes Haus zu bauen. „Eine der besten Entscheidung unsres Lebens“, resümiert Heidi Zorzi heute, weil sich die dadurch entstandene Nachbarschaft bis heute als lebensbegleitender Glücksfall erwiesen hat. 1997 eröffnete sie zusammen mit drei Kolleginnen eine Praxisgemeinschaft für Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie in der Innenstadt, erhielt 2001 dann auch die lange ersehnte Kassenzulassung.

Den meisten Menschen reicht diese Aufgabenstellung für ein ausgelastetes Berufs- und Familienleben aus, doch die Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt. Aus dem riesigen Fundus an theoretischer Ausbildung und familiärer Selbsterfahrung, kontinuierlicher berufsbegleitender Fortbildung und schriftlicher Reflexion spezialisierte sich Heidi Zorzi im Laufe der Jahre in verschiedenen traumatherapeutischen Ansätzen und Interventionen wie der „Traumabezogenen Spieltherapie“ nach Dorothea Weinberg oder EMDR. Angeregt von Frau Weinberg begann sie im Jahr 2017 mit den Recherchen für ein eigenes Fachbuch, das im April 2019 unter dem Titel „Psychotherapie mit komplextraumatisierten Jugendlichen“ bei Klett-Cotta erschien.
Auf die Frage „Hat sich in Laufe der Zeit bei den Kindern und Jugendlichen viel verändert?“ kommt ein klares „Ja“. Die Jugendsprache sei z.B. im permanenten Umbruch. In den letzten Praxisjahren habe sie sich ein extra Vokabelheft für die ganzen Anglizismen der jugendlichen KlientInnen von heute angelegt. Je gebildeter diese sind, je mehr englischsprachige Medien sie sehen und hören, desto mehr „Denglisch“ prägt ihren Sprachgebrauch. „Ich musste dann oft unterbrechen und sie bitten, das eine oderandere Wort zu wiederholen oder mir zu erklären und hab es mir dann aufgeschrieben!“ Manchen kindlichen KlientInnen ist anzumerken, dass sie nicht mehr gewohnt sind, „dreidimensional“ zu spielen und das freie Spiel erst wieder für sich entdecken müssen (was sie meist ganz schnell schaffen!). Ungefilteter „Soziale Medien“-Konsum kann längerfristig zu einer Reihe psychischer Symptome wie Essstörungen, Selbstwertproblemen oder Traumafolgesymptomen führen. Die Pandemie und die mit ihr verbundenen Maßnahmen im Kinder- und Jugendlichenbereich hatten und haben bis heute Folgewirkungen auf die Befindlichkeit der Betroffenen, die erst im Nachhinein in ihrer Spezifität erkannt und erforscht werden können. Jede Zeitepoche hat die ihr eigenen Störungsbilder und je komplexer die Welt wird, desto variantenreicher die psychischen Folgen auf sich entwickelnde Menschen.

Und jetzt, im sogenannten Ruhestand mit 70? „Mich hat etwas überrascht, dass sich der „Ruhestand“ erst einmal gar nicht so ruhig für mich anfühlt. Zum einen lässt mich das Interesse für meinen Beruf noch nicht ganz los, ich gebe weiter sehr gerne Supervisionen und Fortbildungen für jüngere KollegInnen. Zum anderen genieße ich es, jetzt mehr Zeit für die Enkelkinder (bisher fünf im Alter zwischen 1,5 und 19 Jahren), für Kontakte mit Freunden und für Hobbys wie Gärtnern, Lesen und Podcasts-Hören zu haben. Da vergeht die Zeit wie im Flug, und zwar umso schneller, je mehr Sand schon durch die Sanduhr gerieselt ist.“
Und es gibt noch Pläne: ein Fortsetzungsband des Fachbuchs wäre schön. Zum 70. Hatte sie sich von jedem Kind ein „Wochenende mit mir zu zweit, wo auch immer“ gewünscht, „mal sehen, was ihnen da so einfällt...“
Ein Ratschlag aus der Altersperspektive? „Schau, dass es für Dich passt! Falls es nicht passt, ändere nicht dich grundlegend, ändere die Richtung!“.
In diesem Sinne, liebe Heidi Zorzi, wünschen dir die Regensburger Eltern e.V. noch viele interessante und spannende Wendungen im kommenden Lebensabschnitt.