Familienpolitik, Schulkind

"Wir müssen Schule neu denken"

von Verena Riehl

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Die neue Regensburger Bildungsreferentin Dr. Sabine Kellner-Mayrhofer bringt ideale Voraussetzungen mit, um die Herausforderungen zu bewältigen, vor denen die Stadt in Sachen Bildung steht. Im Gespräch mit den Regensburger Eltern schildert sie die Situation und Lösungsansätze.

Seit Jahresbeginn ist Dr. Sabine Kellner-Mayrhofer als Referentin für Bildung zuständig für den Ausbau der Betreuungsangebote an Krippen, Kindergärten und Schulen. Zuvor war sie Rektorin des Sonderpädagogischen Förderzentrums Jakob-Muth-Schule und Schulentwicklungsberaterin für die Oberpfalz. Damit bringt sie ideale Voraussetzungen mit, um die Herausforderungen, vor denen die Stadt in Sachen Bildung steht, zu bewältigen. Im Gespräch mit den Regensburger Eltern schildert sie die Situation und Lösungsansätze der Stadt und erklärt, wie ihre Vision für die Zukunft der Ganztagesbetreuung in Regensburg aussieht.

Ab 1. August 2026 wird stufenweise bundesweit ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder eingeführt, zunächst für die Erstklässler im Schuljahr 2026/27, und weiter bis zum Schuljahr 2029/30 für alle Kinder der 1. bis 4. Klassenstufe. Dieser umfasst 40 Wochenstunden sowie 10 von 14 Ferienwochen.

Bildungsreferentin Dr. Sabine Kellner-Mayrhofer

Wo steht Regensburg bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs?

Dr. Sabine Kellner-Mayrhofer: Regensburg ist auf einem ganz guten Weg, aber wir sind natürlich noch nicht dort, wo wir sein müssten. Eine Umfrage im Sommer 2022 unter den Eltern der Vorschulkinder hat einen Bedarf von rund 80 Prozent ergeben und das werden wir auch bis 2026 anpeilen. Strenggenommen muss der Ausbau 100 Prozent abdecken. Aber es gibt immer Eltern, die sich ganz bewusst für eine Betreuung zu Hause entscheiden. Den Rechtsanspruch erfüllt aktuell nur der Hort. Deswegen ist er auch oft der Erstwunsch der Eltern. Wir haben aktuell eine Hortquote von ca. 20 Prozent auf die Gesamtzahl der Plätze. Wir gehen mittelfristig von einem Bedarf von 40 Prozent aus, langfristig von 60 Prozent. Bei allen Betreuungsformen zusammen kommt die Stadt auf eine Betreuungsquote von circa 66 Prozent, inklusive der Kurzformen.

Wie will die Stadt die zusätzlich benötigten Plätze schaffen?

Wir sind dabei, an jedem neuen Schulstandort einen möglichst großen Hort mitzudenken, weil wir wissen, dass das die Wunschform der Eltern ist. Zum Beispiel am Sallerner Berg wird ein fünfzügiger Hort kommen, an der Konradschule eine Erweiterung um eine Gruppe und in der zukünftigen Grundschule in der Prinz-Leopold-Kaserne planen wir auch einen Hort mit.

Viele Eltern lieben aber auch die größere Flexibilität beim offenen Ganztag, wo man beispielsweise ab zwei Tagen pro Woche buchen kann. Die Nachfrage ist hier sehr stark und wir werden an ein bis drei Standorten zusätzliche Angebote schaffen. Es ist aber klar, dass wir ohne die Mittagsbetreuung beizubehalten im Moment keine Chance haben, den Rechtsanspruch zu erfüllen.

Längerfristig wäre der kooperative Ganztag vielleicht eine weitere Möglichkeit. Da arbeitet ein Angebot der Jugendhilfe wie der Hort plus ein schulisches Angebot unter einer Trägerschaft kooperativ zusammen. Da wir viele städtische Horte an Schulen und dort auch teilweise städtische Mittagsbetreuungen haben, könnte man die „Mittis“ in offene Ganztagsschulen umwandeln und damit einen kooperativen Ganztag schaffen. Die Eltern der Offenen Ganztagsschule können dann bei Bedarf Ferienbetreuung und den Freitag dazubuchen. Vorteil wäre das gemeinsame Nutzen von Räume sowie Synergieeffekte beim Personal. Dadurch hätte man an den einzelnen Standorten mehr Flexibilität und vielleicht auch weniger Druck beim Personal.
Ich glaube, man muss insgesamt das System neu denken. Schule muss für verschiedene Möglichkeiten offen sein. Wenn der Ganztag wirklich für 80% der Schüler:innen kommt, dann müssen wir auch die Bereiche Sport, Musik, Kunst usw. verstärkt in die Schulen holen.

Welchen Beitrag leisten aus Ihrer Sicht freie Träger wie die Regensburger Eltern und wie läuft die Zusammenarbeit?

Besonders im Krippenbereich übernehmen freie Träger viele Aufgaben, die die Kommune nicht leisten kann: Von knapp 1.400 Plätzen betreibt nur 132 Plätze die Stadt. Auch im Kindergartenbereich ist es so, dass der Großteil von den Privaten Trägern betrieben wird (4.808 Plätze, davon Stadt 1.614 + private Träger 3.194). Auch bei den Ganztagesschulen und der Mittagsbetreuung läuft die Zusammenarbeit super.

Ich finde es toll, dass wir verschiedene sehr gute Träger in Regensburg haben und damit eine große Vielfalt an Angeboten. Die Stadt versucht Träger zu stützen, die personell oder mit der Erhöhung der Kosten Schwierigkeiten haben. Ohne die privaten Träger ginge es nicht.

In Regensburg fehlen Erzieherinnen und Erzieher. Was unternimmt die Stadt, um die nötigen Fachkräfte für die Betreuung der Grundschulkinder genauso wie in Krippen und Kindergärten zu gewinnen?

Die Stadt setzt stark auf Ausbildungsprogramme und Quereinsteiger oder Rückkehrer, sowohl aus der Elternzeit oder dem Ruhestand als auch aus dem Ausland. Im Juli 2022 gab es 100 Plätze an OptiPrax-Berufspraktikant:innen und Grundschulkind-Fachkräften, die in den städtischen Einrichtungen in Ausbildung waren. Zusätzlich werden über das Bayerische Sozialministerium neue Qualifikationsmodule als Assistenzkraft in Kitas und als Ergänzungskraft gefördert. So können sich Personen aus anderen Berufen zur pädagogischen Fachkraft weiterqualifizieren. Bereits im dritten Jahr gibt es die Fachakademie des Landkreises, wo Grundschul-Fachkräfte ausgebildet werden. Hier ist die Stadt maßgeblich beteiligt, fördert die Ausbildung und stellt Praktikumsplätze zur Verfügung. Insgesamt versuchen wir mittelfristig 20 Prozent mehr Personal zu gewinnen.

"Wichtig ist mir auf jeden Fall, dass alle Bürger:innen gleichberechtigt und selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können."

In den Kindertageseinrichtungen und den Schulen fällt viel „Papierkram“ an. Dabei würde mehr Digitalisierung Eltern und Betreuungspersonen entlasten. Was kann die Stadt tun, um die Digitalisierung voranzutreiben?

Zum einen habe ich eine neue Stabsstelle für Digitalisierung geschaffen, weil ich das Thema sehr wichtig finde. Herr Eigner kommt aus dem Bereich Schule und ist das Bindeglied zwischen den Schulen und der Stadt. So haben wir spätestens nächstes Jahr in allen Schulhäusern die zeitgemäße strukturierte EDV-Verkabelung hergestellt. Zum anderen stellt die Stadt den Schulen und den Trägern der Ganztagesangebote viele Programme zur Verfügung, die datenschutzkonform sind, zum Beispiel für die Kommunikation mit den Eltern „edoop“ oder „WebUntis“ für Stundenpläne und Vertretungen.

Wenn wir den kooperativen Ganztag und eine stärkere Vernetzung zwischen der schulischen oGTS und dem städtischen Hort hätten, wäre das einfacher zu realisieren. Ich bin überzeugt, dass wir eine stärkere Vernetzung brauchen. Zum Beispiel die Vision eines „Bildungscampus“, den die verschiedenen Akteure dann bespielen. Das fände ich sehr spannend und bestimmt für beide Seiten gewinnbringend.

Zum Abschluss: Sie kommen ja ursprünglich aus der Sonderpädagogik. Und es gibt in allen Altersstufen Menschen mit Beeinträchtigungen. In den Schulen ist das Thema Inklusion inzwischen angekommen. Wie kann es gelingen alle Menschen zu erreichen, gerade auch im Bereich Erwachsenenbildung?

Das Spannende an der Tätigkeit bei der Stadt ist für mich, dass ich mitgestalten kann, dass vom Kleinkind bis zu den Großeltern alle ein Bildungsangebot bekommen, das ihnen entspricht. Nicht nur für eine bestimmte Gruppe, sondern wirklich für alle. Oft wird bei Inklusion in erster Linie an Menschen mit Behinderung gedacht. Ich wünsche mir aber einen weiten Inklusionsbegriff: jeder soll sich zugehörig fühlen und teilhaben können, egal ob mit oder ohne Behinderungen, mit und ohne Migrationserfahrung, egal welches Geschlecht und welche finanziellen Möglichkeiten jemand hat. Chancengleichheit für alle ist extrem wichtig und dafür sehe ich uns als Kommune in der Pflicht.

Gerade wird ein großes Integrationskonzept entwickelt, das Integration und Migration umfasst. Und es gibt schon einiges in leichter Sprache. Außerdem wird bei Sanierungen und Neubauten die Barrierefreiheit grundsätzlich mitgedacht. Im Kita-Bereich planen wir bei allen neuen Einrichtungen eine inklusive Gruppe mit. D.h. längerfristig können an jedem Standort Kinder mit und ohne Förderbedarf zusammen spielen und lernen. Aber auch die speziellen Einrichtungen der Sonderpädagogik liegen im Fokus. Was wirklich toll ist, sind die Stadtteilbibliotheken, weil es damit vor Ort, in den Vierteln, ein niedrigschwelliges Angebot gibt, das für die Familien schnell und leicht zu erreichen ist. Auch in der VHS sind wir außerdem in der Planung für inklusive Angebote.

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