Familienpolitik, Mütter, Väter

Von Eltern, die auszogen und das Fürchten lernten

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Kommentar von Franka Rößner

Die Betreuungskrise in den Kindertageseinrichtungen kostet nicht nur Nerven. Die goldene Kugel „verlässliche und gute Kinderbetreuung“ ist ganz tief unten im schlammigen Brunnen gelandet.

In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebten Vater, Mutter und das leibliche Kind in einer heilen Welt. Vati ging am Morgen zur Arbeit. Mutti kümmerte sich unentgeltlich und ohne Rentenpunkte um Haus, Hof und die Kinderschar. Der Kindergarten um die Ecke öffnete für ein paar wenige Stunden seine Tore. Er bot im Sinne Friedrich Fröbels Konzepte und Ideen, um Kinder auf das Leben in Gemeinschaft vorzubereiten. Erzieherinnen waren Kindergärtnerinnen, meist nicht ausgebildete Ordensschwestern, die liebevoll und für ein paar Mark fünfzig, oder noch viel besser: gegen Gotteslohn, den Nachwuchs förderten. Mittags wurde das gesunde, reichhaltige und selbst zubereitete Essen wieder zu Hause eingenommen.

Diese märchenhafte Welt mag es in der Erinnerung mancher tatsächlich gegeben zu haben. Andere sehen sie auch heute als Ideal ihrer Familien- und Lebensplanung an. Das ist völlig legitim. Weil aber der Wunsch nach einem (Ganztags)-Kitaplatz, noch dazu U3, so lange als egoistische Forderung der Fischersfrau Ilsebill (Nicht „Kaiser- oder Papst-werden“ sondern: „Kinder loswerden“ oder „Selbstverwirklichung durch Arbeit“,) behandelt wurde, ist der bayrische Thron nun in der Position vom Rxxxstilzchen. Herrscher und deren Statthalter in den Kommunen müssen jetzt, im Vergleich mit anderen Bundesländern Dekaden im Verzug, über Nacht Stroh zu Gold spinnen.

Das fängt mit den Gebäuden (nicht immer Palästen) an, die ausgerechnet in Zeiten von Energiekrise und explodierenden Baukosten/Preissteigerungen aus dem Boden gestampft werden sollen. Andere Häuser wie der Stadtparkkindergarten schlafen einen (100jährigen?) Dornröschenschlaf. Sowohl bei Neubau als auch Renovierung tun sich für die freien Träger inzwischen Finanzierungslücken in schwindelerregenden Höhen auf. So mancher (wie zuletzt die Barmherzigen Brüder in Regensburg) verabschiedet sich deshalb ganz von geplanten Bauvorhaben. Maximal 80% der Baukosten nämlich werden aus dem Staats- und Stadtsäckel übernommen. Freiflächen und Spielgeräte gar nicht, auch nicht die Erstausstattung einer Kita.

Sonntagsredner mit langen Nase

Die Finanzierungslücke von real weit über 20 Prozent der tatsächlich anfallenden Kosten sollen über die Mietzahlungen an den Bauträger (Zweckbindung der Fördermittel auf 25 Jahre) ausgeglichen werden. Sehr teure und zwangsläufig steigende Mieten wiederum müssten eigentlich zu Erhöhung der Elternbeiträge führen. Die aber unterliegen einer Deckelung (max. 30 Prozent über den städtischen Beiträgen dürfen sie liegen). Das ist für die Eltern, die gerade für den Krippenplatz in Regensburg und vielen Kommunen in Bayern ohnehin schon tiefst in die Tasche greifen müssen, ein Segen. Kein finanzieller Spielraum bleibt dann allerdings für die Personalgewinnung, und eng damit verbunden, die Ausbildung neuer Mitarbeiter:innen.

Die Herolde posaunen es zwar gerne immer wieder über die Dächer: „Kinder sind unsere Zukunft“, „Kinder sind das wertvollste Gut, das wir haben“. Dass professionelle pädagogische Begleitung und Betreuung gelernt und honoriert sein wollen, hat sich aber offenbar noch nicht überall im Königreich herumgesprochen. Die neuerlich geäußerte Idee, tapfere Ritter aus dem Reservoir der Agentur für Arbeit zu schöpfen (mit Kindern kann doch irgendwie jeder), straft die Sonntagsredner mit langen Nasen.

So real der Fachkräftemangel in vielen Branchen sein mag: Gerade im Bereich der Erziehung und frühkindlichen Bildung entsteht er auch durch massive und leider oft dauerhafte Abwanderung von gut ausgebildetem Personal. Rentner:innen wieder aus dem verdienten Altenteil hervorzulocken, kann nicht die Lösung sein. Die Arbeitsbedingungen von Fachkräften in den Kitas müssen so gestaltet sein, dass Arbeit Freude und nicht krank macht. Dazu gehört eine wertschätzende Entlohnung, genauso wie gesunde Arbeitsbedingungen. Gruppen aus Kostengründen oder aus Mangel an ausreichenden Betreuungsplätzen bis über den Rand des Legalen zu belegen, führt immer tiefer in den Höllenschlund der Mattisburg.

Auch Arbeitgeber:innen brauche starke Nerven

Eltern kennen natürlich längst den Namen des oben schon erwähnten, leicht erratisch herumtanzenden Gnoms. Sie nennen ihn nicht Rumpelstilzchen, sondern „Gruppenschließung“ oder „Betreuungszeitenverkürzung“. Für einen verlässlichen oder überhaupt EINEN Kita-Platz würden sie vermutlich sogar mit kopflosen Geistern Karten spielen. Den juristischen Weg oder in die Öffentlichkeit gehen, eher nicht so gerne. Denn wer weiß, ob man es sich mit der Obrigkeit dann nicht ganz verdirbt.

Auch wenn die Stadt Regensburg beruhigt, dass zum neuen Kindergartenjahr im September für jedes Kind zumindest ein Kindergartenplatz frei sein wird: die Zeit bis dahin ist eine des Zitterns, Bettelns und Gruselns. In der Regel gruseliger für Ilsebill als für den Fischer, denn wenn es nicht klappt, bleibt eher sie in der Hütte. Auch ihr:e Arbeitgeber:in braucht starke Nerven. Oder ihre Kund:innen und Angestellt:innen. Ob Ilsebill kommt oder nicht, wie viele Stunden sie dann kommt, das ist momentan überhaupt nicht kalkulierbar. Dass sie oder der Fischer möglicherweise den halben Morgen durch die Stadt rudern, weil der Platz oder die Plätze verschiedener Kinder über alle Himmelsrichtungen verstreut sind, ist eine Kröte, die man ohnehin schlucken muss.

Bei all diesen modernen Irrfahrten spielt es offenbar kaum eine Rolle mehr, ob das Kind gut untergebracht und glücklich ist. Oder dass alle Kinder einen Anspruch auf frühkindliche Bildung und ein Aufwachsen in einer sicheren Gemeinschaft mit anderen Kindern haben. An vielen Orten werden sie zwangsläufig nur noch verwahrt. Dürfen nachmittags nichts mehr trinken, weil man das Wickeln und auf die Toilette begleiten mit dem wenigen Personal nicht schafft. Sind Mitarbeitende so begehrt, dass die schlechten trotzdem im Töpfchen landen und nicht gekündigt, bzw. weiter herumgereicht werden.

Nicht auf das Wünschen verlassen

Die goldene Kugel „verlässliche und gute Kinderbetreuung“ ist ganz tief unten im schlammigen Brunnen gelandet. Was bekommt der Frosch, wenn er sie herausholt?

In Bayern haben traditionell vor allem die Katholische Kirche und deren Organisationen die Kinderbetreuung übernommen, weshalb z.B. in Regensburg auch heute nur wenige Plätze kommunal, sondern von freien Trägern betrieben werden (von 4.808 Kindergartenplätzen sind 1.614 städtisch, von 1.380 Krippenplätzen lediglich 132). Selbst wenn man diese Aufgabenverteilung von Thron und Kanzel bzw. den anderen freien Trägern wie den Regensburger Eltern beibehalten möchte, so muss klar sein, dass die Finanzierung der Kindertagesbetreuung staatliche Aufgabe ist. Nicht zu 50 Prozent oder 80 Prozent, sondern komplett und inklusive Erstausstattung für neue Einrichtungen. Bei der Ausbildung neuer Mitarbeiter:innen müssen die freien Träger unterstützt werden.

Auf das Wünschen jedenfalls sollten wir Eltern, sollten die freien Träger wie die Regensburger Eltern, sollten wir uns als Staatsbürger nicht verlassen. Es wäre, wie die SZ neulich titelte, zum Schaden für dieses Land.