Menschen

Die Kunst des Erzählens

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von Christiane Joiko

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Die Regensburgerin Erika Eichenseer ist eine begnadete Erzählerin. Sie hat sich ganz dem Oberpfälzer Märchenerzähler Franz Xaver von Schönwerth verschrieben. Im Interview erklärt sie, worauf es beim (Märchen)erzählen ankommt.

Liebe Erika, du bist eine begnadete Märchenerzählerin. Dir gelingt es meisterhaft deine Zuhörer:innen mit auf die Reise ins Märchenland zu nehmen. Dabei erzählst du Märchen des Oberpfälzer Märchensammlers Franz Xaver von Schönwerth. Woher kommt deine große Leidenschaft für diese Märchen?

Erika Eichenseer: Sie sind so natürlich und kostbar, wie rohe Edelsteine und sie bedienen nicht die üblichen Stereotypen. Buben können zu verletzlichen jungen Männern und Mädchen zu tapferen Heldinnen werden, die sich ihren Aufgaben verantwortungsvoll stellen. Diese Märchen sind das Ergebnis von Schönwerths aufwendigen Forschungs- und Sammelreisen durch die Oberpfalz. Er hat sie bewusst in der einfachen Sprache der Landleute aufgeschrieben, so wie er sie gehört hat. Der Inhalt wurde weder beschönigt noch bereinigt. Und genau das schätze ich so an ihnen. Sie sind außergewöhnlich und in ihrer Wildheit ursprünglich und authentisch. Das gibt ihnen soviel Frische und Lebendigkeit.

Die Regensburgerin Erika Eichenseer ist eine begnadete Erzählerin. Sie hat sich ganz dem Oberpfälzer Märchenerzähler Franz Xaver von Schönwerth verschrieben. Im Interview erklärt sie, worauf es beim (Märchen)erzählen ankommt.

Erika Eichenseer

Schönwerth war ein Zeitgenosse der Gebrüder Grimm. Jacob Grimm hat sogar über ihn gesagt: "Nirgendwo in ganz Deutschland ist umsichtiger, voller und mit so leisem Gehör gesammelt worden". Darin steckt so viel Wertschätzung. Dennoch sind die Märchen des Volkskundlers Schönwerth fast in Vergessenheit geraten. Warum?

Dieser Ausspruch Grimms ist für mich ein Ritterschlag für die immense Arbeit und Intensität, mit der Schönwerth seine Sammlung und Forschung betrieben hat. Trotzdem war die Lobby für die Gebrüder Grimm stärker: Sie waren Universitätsprofessoren und hatten gute Rezensenten. Schönwerths Wesensart war eher leise, versonnen, versponnen, er hatte keine Ahnung von PR. Dafür trieben ihn seine verstörenden Beobachtungen in laute Warnungen hinein, die normalerweise nicht so gern gehört werden. Schon vor 160 Jahren hat er die Zerstörung der Natur durch den Menschen beobachtet und vor den Folgen eindringlich gewarnt.

Es entsteht zwischenmenschliche Beziehung mit echter Nähe, welche tatsächlich erlebbar ist.

Was ist der große Unterschied zwischen Erzählen und Vorlesen?

Schönwerths Märchen stammen aus mündlicher Überlieferung. Die Erzählkunst vermittelt die immer noch gegenwärtige Kraft der Märchen am nachhaltigsten. Sie ist die älteste Form der Gedankenvermittlung und schafft Gemeinschaft. Es entsteht zwischenmenschliche Beziehung mit echter Nähe, welche tatsächlich erlebbar ist. Sie geht über aufmerksame Augen und Ohren, über Blickkontakte. Aus einem Buch vorzulesen würde diese Beziehung durchschneiden. Der Reiz ginge verloren, die Aufmerksamkeit würde schwinden.

Für welche Altersgruppen sind Märchen besonders wichtig?

Die Schönwerth-Sammlung bietet viele Schwierigkeitsstufen für unterschiedliche Entwicklungsphasen. Sehr viele sind Botschaften an die heranreifenden jungen Menschen in der Pubertät, wenn sich Körper und Geist und Seele verändern, verändern müssen. Märchen bieten eine Hilfestellung, wenn aus Kindern Erwachsene werden: Am Ende führen alle Herausforderungen dazu, dass der junge Mensch Erfahrungen sammelt, die ihn oder sie erwachsen machen. Aber es gibt auch einfachere Märchen, die für kleine Kinder geeignet sind. Die müssen allerdings etwas gesucht werden.

Auch der Wald spielt bei den Schönwerth-Märchen eine herausragende Rolle. Was hat es damit auf sich?

Viele seiner Märchen spielen im Wald, wobei dieser Wald kein gefährlicher Ort ist, in dem menschenfressende Wölfe und Hexen ihr Unwesen treiben. Hier ist der Wald eher beschützender Freund, bewohnt von zauberhaften Geschöpfen wie den hilfreichen Holzfräulein, dem goldenen Hirschlein oder den Zwergen, die bei Friedensstörungen auch mal garstig werden können.
Doch der Wald ist in Schönwerths Augen auch in Gefahr, durch die vom Menschen geschaffenen Umweltveränderungen. Da gibt es ein schönes Waldmärchen aus Neuenhammer:

„In einem alten Buchenwalde standen zwei riesige Buchen nebeneinander. Es war Abend, und traurig hing die eine die Zweige, weshalb die Nachbarin fragte, was sie habe, dass sie das Haupt so senke. Jene aber erzählte, dass gestern der Förster hier gewesen sei und sie morgen zum Fällen bestimmt habe: sie werde nun bald das Leben lassen. „Wehe mir, erwiderte die Nachbarin, da wirst du auch mich im Falle verletzen!  Die erste schwieg, noch mehr betrübt durch diesen Ausbruch der Selbstsucht. Am andern Tage aber kam der Förster mit dem Herrn des Waldes, und beide fingen darüber zu streiten an, welche von den zwei schönen Buchen gefällt werden solle. Da beugten sich die Bäume seufzend hin und her. „Wer hat geseufzt?“ rief der Herr. Es war aber niemand da, der Antwort gab. Furcht trieb die Förster von dannen, und die herrlichen Bäume blieben verschont.“

Wo können die Leser:innen vor Ort Schönwerth-Märchen erleben?

Zum Erleben der Schönwerth-Märchen ist kein Ort besser geeignet als die Natur höchstpersönlich. 2014 wurde in Sinzing der erste Schönwerth-Märchenpfad eröffnet. Er befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Walderlebniszentrum. Acht wundervolle Wald- und Naturmärchen werden entlang des Pfades vorgestellt. Zu jedem gibt es ein von regionalen KünstlerInnen geschaffenes Kunstwerk zu entdecken. Zusätzlich können die Märchen auf Tafeln nachgelesen werden. Oder man lässt sie sich mit Hilfe des Handys und eines QR-Codes vorlesen. Darüber hinaus finden vor Ort immer wieder Veranstaltungen mit professionellen Märchenerzähler:innen statt, die ein ganz besonderes Wald- und Märchenerlebnis bieten.

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