Institutionen und Organisationen

So läuft das Projekt Solawi in Tegernheim

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Ulla Gordon

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Solidarische Landwirtschaft ist stark im Kommen: deutschlandweit gibt es bereits über 350 dieser Zusammenschlüsse und im Umland von Regensburg sind es auch schon fünf. Unsere Autorin ist Teil der Solawi in Tegernheim – und von dem nachhaltigen Konzept begeistert.

Anfang diesen Jahres hörte ich zum ersten Mal durch einen Freund von der Solawi Tegernheim. Ich muss zugeben, dass ich den Begriff erstmal im Internet nachgeschaut habe. Dabei habe ich recht schnell herausgefunden, dass die Solidarische Landwirtschaft stark im Kommen ist: deutschlandweit gibt es bereits über 350 dieser Zusammenschlüsse und im Umland von Regensburg sind es auch schon fünf (Tegernheim, Nittendorf, Lappersdorf, Mintraching und Regenstauf). Aber wie funktioniert sie nun, die Solawi? Landwirte und Privatpersonen schließen sich zusammen, dabei tragen die Privatpersonen die Kosten (und das Risiko) für den landwirtschaftlichen Betrieb, im Gegenzug erhalten alle Solawi Mitglieder einen Ernteanteil. Dieser besteht aus saisonalem, regionalem und nachhaltig produziertem Gemüse, das einmal pro Woche auf dem Hof abgeholt werden kann.

Gespannt machte ich mich auf den Weg zur Gemüseabholung, die ist an zwei Tagen pro Woche möglich. Welches Gemüse es gibt und wieviel davon mitgenommen werden darf, steht auf einer großen Tafel in der Scheune. Abwiegen und einpacken dürfen die Mitglieder selber. Bei der ersten Abholung Anfang März gab es mehr, als ich erwartet hatte: Karotten und Sellerie, Topinambur, Radieschen, Kresse und Wintersalat. Zur Inspiration hängen am Scheunentor auch hin und wieder passende Rezeptvorschläge.

Ulla Gordons Tochter kommt gerne mit aufs Feld. Dort lernt sie, wo ihr Lieblingsgemüse herkommt.

Die Mithilfe auf dem Feld wird mittels Doodle-Listen organisiert, damit die vier Gärtner, die bei der Solawi angestellt sind, besser planen können. Ich versuche einmal die Woche dabei zu sein. Die Arbeiten im Frühjahr sind vielfältig und erstrecken sich von Unkraut jäten, alte Folientunnel wegräumen über Boden lüften mit der Breitgabel (danach konnte ich zwei Tage nicht so gut Treppe steigen) bis hin zu Kompost verteilen, Saatrinnen ziehen und Saatgut ausbringen. Unsere kleine Tochter kommt übrigens wahnsinnig gerne zur Gemüseabholung mit!

Fazit: Wir sind begeistert von diesem Konzept. Unsere Tochter lernt, wo und wann ihr Lieblingsgemüse wächst, wieviel Arbeit drin steckt und wie herrlich erntefrische Radieschen und Babykarotten schmecken. Und wir können einen kleinen aber sinnvollen Beitrag zu einem neuen Umweltverständnis leisten.

Interview: "Solawi ist ein Experiment, das sich ständig weiterentwickelt"

Dr. Roland Greiner ist Mitbegründer und Vorstand der Solawi in Tegernheim. Im Interview verrät er, wie das Konzept funktioniert und wie es im Ort angenommen wird.

Wann wurde die Solawi Tegernheim gegründet und wie gestaltete sich der Start?

DR. ROLAND GREINER: Die Idee dazu entstand Ende 2019. Ich hörte mich damals in meinem Bekannten- und Freundeskreis um, ob es Leute gibt, die Interesse hätten, das Experiment Solawi in Tegernheim zu wagen – und das waren erstaunlich viele. Kurz nach der ersten Informationsveranstaltung legten wir los, die Vereinsgründung fand im Februar 2020 statt. Im ersten Jahr hatten wir bereits 75 Vereinsmitglieder und 85 Gemüseanteile, diese sind 2021 auf 110 angewachsen und mittlerweile haben wir auch eine Warteliste. Über eine Kooperationsvereinbarung mit einem Landwirt in Tegernheim pachteten wir knapp einen Hektar Ackerfläche. Im ersten Jahr waren die Ehrenamtlichen noch stark eingebunden, die hatten durch den Lockdown im März aber vermutlich auch viel Zeit (lacht). Für die Arbeit auf dem Feld haben wir natürlich ein Hygienekonzept erstellt und mit den Behörden abgeklärt. Ab Juli und August stellten wir vier Gärtner an, die sich insgesamt 42 Stunden pro Woche um die Bewirtschaftung kümmern. Die Bepflanzung der Fläche wurde in einer große Einmalaktion geplant, von den Gärtnern und einem Vereinsmitglied, der Produktionslogistiker ist – deswegen ist der Plan sehr gut und detailliert ausgearbeitet und kann für viele Jahre verwendet werden.

Inzwischen kümmern sich auch vier Gärtner um die Anbaufläche in Tegernheim.

Nach welchem Prinzip wird angebaut?

Die Solawi Tegernheim nutzt das sog. „Market-Gardening“ Konzept. Das ist eine sehr intensive und nachhaltige Nutzung kleiner landwirtschaftlicher Flächen in Handarbeit, also ohne große Maschinen. Die Geräte, die wir benutzen, wurden speziell für die Handarbeit entwickelt, sie sind sehr robust und einfach zu bedienen. Mit unserem Konzept haben wir andere Ziele im Blick als die industrielle Landwirtschaft (die einen Maschinenpark versorgt): gesunde Lebensmittel und Bodenschonung durch geringen Ressourceneinsatz und das alles mit hoher Effizienz und Effektivität. Von der gepachteten Fläche sind etwa 3000 Quadratmeter Market Gardening Fläche: das ist sehr viel. Der andere Teil wird als Ausgleichsfläche genutzt, zum Beispiel für Gründdüngung, ein Mischkulturexperiment, als Saatgutproduktionsfläche und als Mitglieder- und Kinderbereich.

Worin siehst Du die größten Herausforderungen und Schwierigkeiten?

Die Solawi ist kein Gemeinschaftsgarten, sondern ein landwirtschaftliches Produktionsunternehmen: Das Konzept sollte so aufgebaut sein, dass die eigentliche Produktion ohne das Ehrenamt auskommt und da wollen wir in den nächsten drei bis vier Jahren auch hinkommen. Auch der Verein ist ein Experiment, das sich ständig weiterentwickelt: was erwarten die Mitglieder, was wollen sie nicht, wie kriegt man alles unter einen Hut? Da ist Kompromissbereitschaft gefordert. Momentan ist mehr Arbeit da, als die Gärtner schaffen. Deswegen müssen wir die Produktion stetig verbessern und effizienter machen aber auch die Verträge der Gärtner aufstocken. Es ist uns wichtig, dass unsere Gärtner gut bezahlt werden. Momentan kostet ein Gemüseanteil 50 Euro im Monat, realistisch sind aber eher 70 bis 80 Euro und das muss den Mitgliedern auch klar sein.

Was ist für die Zukunft beim Anbau geplant?

Die Gemüsekisten sind in der kalten Jahreszeit etwas spärlicher als im Sommer, das ist ganz normal. Deswegen wollen wir die Einlagerung ausbauen, damit auch im Winter mehr angeboten werden kann. Wir haben angefangen im Winter zum Beispiel zusätzlich fermentiertes Gemüse anzubieten, das ist sehr spannend, einfach und lecker und soll auch erweitert werden. Eine Schwierigkeit bleiben aber Kohlenhydratpflanzen wie Getreide und Kartoffeln, deren Anbau ohne Maschineneinsatz eigentlich nicht geht. Kartoffeln kaufen wir deswegen zu. Wir wollen alte landwirtschaftliche Ideen von vor 100 Jahren weiterentwickeln, also moderner machen, dabei aber ressourcenschonend bleiben. Darin steckt sehr viel Potential.

Auch für Kinder ist bei Solawi einiges geboten.

Wie reagiert die Gemeinde auf die Solawi?

Von den Anwohnern haben wir schon oft zu hören bekommen: „Ihr wollt alles so wie vor 100 Jahren und dann kommt ihr mit dem Auto und holt euer Gemüse, das passt doch nicht zusammen“ (lacht). Für mich muss das aber kein Widerspruch sein und heißt auch nicht, dass die Richtung falsch ist. Das Problem ist eher, dass die meisten nur eine wage Vorstellung davon haben, was Solawi bedeutet. Sehr gefreut hat uns, dass der Gemeinderat Tegernheim uns mit einer Anschubfinanzierung von 2000 Euro fördern wird und uns zu einer Ausschusssitzung eingeladen hat, um den Verein vorzustellen. Das ist ein guter Anfang!

Was gibt es für Kinder am Feld zu erleben?

Kinder ab etwa drei Jahren kann man schon ein wenig mit einbinden, zum Beispiel  zum Steine sammeln und gießen. Außerdem haben wir ein Kinderbeet und kleines Hochbeet, wo die Kleinen selber ans Werk gehen dürfen. Ein Teil der gepachteten Fläche ist freigegeben für unsere Mitglieder, da darf jeder machen was er möchte. Das ist vor allem für diejenigen toll, die zuhause keinen Garten haben.

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