Wenn alles umgesetzt wird, was die Politiker:innen bei der Podiumsdiskussion “Kinder, Kinder: Politik!” gesagt haben, wird es Kindern und Familien in Bayern nach den Landtagswahlen besser gehen. Aber es ist viel zu tun. Ein Faktencheck.
Kinder, Kinder: Politik! – Die Veranstaltung
Sieben Landtagskandidat:innen und rund 80 Gäste waren der Einladung in den verwaisten Stadtparkkindergarten gefolgt. Das Gebäude wartet schon seit über zwei Jahren auf seine Sanierung und kann somit als Sinnbild für die angeschlagene Situation der Kindertagesbetreuung angesehen werden. Unter der Moderation von Ulrike Hecht stellten sich die Politiker:innen den Fragen des Publikums, das via Menti Meter auch an direkten Publikumsumfragen teilnehmen konnte. „Die Kinderbetreuung war das Thema, das den Teilnehmer:innen besonders unter den Nägeln gebrannt hat“, sagte Michael Straube, der als “Anwalt des Publikums” zusammen mit Jessica Suttner und Verena Gold die Fragen der Gäste auf die Bühne brachte.
Die Podiumsdiskussion im Video:
Durch eine Förderung des Bundesprogramms “Demokratie leben!” konnte eine Videoaufzeichnung gemacht werden, die auch auf unserem YouTube Kanal abrufbar ist.
Die Gäste
Vor der Wahl und nach der Wahl
Wo soll das Geld herkommen, um die Kindertagesbetreuung besser finanziell zu fördern? Wie kann Inklusion, Integration und Chancengleichheit gelingen, insbesondere auf dem Hintergrund des akuten Fachkräftemangels? Wie kann sichergestellt werden, dass jedes Kind die Betreuung bekommt, die die Familie wünscht und benötigt? Eine Patentlösung dafür hatte keiner der Politiker:innen, doch es liegt wahrscheinlich in der Natur politischer Diskussionsrunden im Vorfeld von Wahlen, dass viele Hoffnungen geweckt werden. Vor der Wahl wird viel geredet und versprochen und dann wenig getan – so ein resigniertes Statement aus dem Publikum.
“Vieles in Bayern läuft schon richtig." – Jürgen Eberwein (CSU)
Klar ist, dass für die Lösungen - neben kommunalpolitischen Maßnahmen - grundlegende politische Entscheidungen auf Bundes- und Landesebene notwendig sind: der Basissatz der kindbezogenen staatlichen und kommunalen finanziellen Förderung müsste angehoben werden, das zähe Ringen zwischen Bund und Ländern über die Finanzierung spezieller Förderprogramme (z.B. Sprach-Kita/ Leitungs- und Verwaltungsbonus etc.) beendet werden und die Gelder des Guten Kita Gesetzes (2022) bzw. des Kita-Qualitätsgesetzes (2023/24) endlich in den Kitas ankommen.
"Es braucht eine institutionalisierte Landeselternvertretung." – Sebastian Koch (SPD)
Welche Themen beschäftigen Regensburger Familien?
Nicht alle Fragen, die vom Publikum auf Zetteln zusammengetragen wurden, konnten an dem Nachmittag aufs Podium gebracht werden. Die wichtigsten haben wir hier nochmals zusammengetragen und mit aktuellen Fakten – insbesondere aus dem Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme 2022 der Bertelsmannstiftung – ergänzt.
“Für die Kindertagesbetreuung sollte ein Sondervermögen im bayerischen Haushalt eingeplant werden." – Michael Schien (Freie Wähler)
Wer aktuell mit kleinen Kindern lebt, weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, einen qualitativ hochwertigen und stabilen KiTa- Platz zu bekommen – davon hängt aber für Familien viel ab. Kein Wunder, dass die- ses Thema auf dem Podium stark diskutiert wurde: Wo soll das Geld herkommen, um die Kindertagesbetreuung besser finanziell zu fördern? Wie kann Inklusion, Integration und Chancengleichheit gelingen, insbesondere vor dem Hintergrund des akuten Fachkräf- temangels? Wie kann sichergestellt werden, dass jedes Kind die Betreuung bekommt, die die Familie wünscht und benötigt? Wie kann Care-Arbeit auch staatlich honoriert werden? Dass die Kindertagesbetreuung in Bayern ausgeweitet werden muss, die Arbeitsbedingungen für die KiTa-Mitarbeiter:innen verbessert und Familien durch ausreichende, zuverlässige und gute Betreuungsangebote entlastet werden müssen, darüber herrschte Konsens unter allen Parteien auf dem Podium, auch wenn keine:r der Politiker:innen eine Patentlösung präsentieren konnte. In der Natur politischer Diskussionsrunden im Vorfeld vonWahlen liegt es sicherlich auch, dass viele Hoffnungen geweckt wurden. Die Stimmen aus dem Publikum machten aber auch deutlich: Damit ist es nicht getan! Den großen Versprechungen zu lauschen, fiel vielen Besucher:innen schwer: „Vor der Wahl“ wird viel geredet und versprochen und dann wenig getan – so ein resigniertes Statement aus dem Publikum.
"Kinderbetreuung ist Arbeit. Wir setzen uns für ein Erziehungsgehalt für Eltern, die ihr Kind zu Hause betreuen, ein." – Regina Wörle (ÖDP)
Eine Aktion gegen politischen Vertrauensverlust
Mit der Veranstaltung sollte dem Vertrauensverlust gegenüber der Politik, der in Familien messbar ist und insbesondere unter Sorgetragenden seit der Pandemie zugenommen hat, konkrete Beteiligungsangebote entgegengestellt werden: Familien und Kinder sollen Bühnen bekommen und gehört werden. Dass sich die häufig mühsamen und kräftezehrenden demokratischen Prozesse auszahlen, wenn sie Vielfalt und Mitsprache ermöglichen, ist eine Botschaft, die für Menschen, auch für kleine Menschen, nicht nebensächlich sein kann.
"Eltern und Kita-Mitarbeiter:innen brauchen mehr Flexibilität." – Marco Winkler (DIE LINKE)
Die Veranstaltung sollte aber auch sichtbar machen, dass die Familienpolitik nicht so weiterlaufen kann wie bisher. Sie muss unbedingt mit mehr Engagement und finanziellen Mitteln umgesetzt, mit dem Blick auf die Lebensrealitäten und Bedürfnisse von Kindern und Familien, aber auch KiTa-Trägern und -Mitarbeiter:innen geführt und mit dem politischen Willen verfolgt werden, endlich das anzugehen, was bislang verschlafen worden ist.
"Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Kindertagesbetreuung müssen verbessert werden." – Theresa Eberlein (Bündnis 90/ Die Grünen)
Handlungsbedarf auf allen Ebenen
Klar ist, dass für eine grundlegende Verbesserung der Situation – neben kommunalpolitischen Maßnahmen – politische Entscheidungen auf Bundes- und Landesebene notwendig sind: der Basissatz der kindbezogenen staatlichen und kommunalen finanziellen Förderung muss angehoben, das zähe Ringen zwischen Bund und Ländern über die Finanzierung projektbezogener Förderprogramme (z.B. der Sprachkitas) beendet werden, die Gelder des Guten-KiTa-Gesetzes (2022) bzw. des KiTa-Qualitätsgesetzes (2023/24) endlich auch direkt in den KiTas ankommen. „Wahlgeschenke“, wie die Senkung von KiTa- Gebühren helfen niemandem, wenn es nicht genügend Betreuungsplätze gibt und dieses Geld dann bei Ausbau und Qualitätssicherung der KiTas fehlt.
"Das nächtliche Betreuungsverbot für Kinder sollte aufgehoben werden." – Loi Vo (FDP)
Um den konkreten Handlungsbedarf sichtbar zu machen, sollen im Folgenden einige Publikumsfragen zum Thema abgebildet und mit einem Faktencheck (vgl. inbesondere Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme 2022 der Bertelsmannstiftung) ergänzt werden.
Fehlende Kita-Plätze
Warum schafft es die Stadt Regensburg nicht, genügend Kita-Plätze zu schaffen und z.B. ein Gebäude wie den Stadtparkkindergarten rasch zu sanieren. Das Gebäude steht jahrelang leer, die Kosten steigen und steigen, die Kita-Plätze fehlen.
Seit 1996 gibt es den Rechtsanspruch auf ei- nen Platz in der KiTa oder Kindertagespflege für Kinder ab dem vollendeten dritten, seit 2013 ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Ab 2026 soll darüber hinaus der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder der ersten Klassenstufe eingeführt und bis 2029 auf alle Grundschulkinder ausgeweitet wer- den. Dass der Rechtsanspruch nicht automatisch bedeutet, dass man auch einen Platz erhält, zeigt unser Faktencheck:
Zu wenig Investitionen in Kindertagesbetreuung
CSU/ Freie Wähler fordern mehr Geld für die Kindertagesbetreuung. Meine Frage: CSU/ Freie Wähler regieren, wo bleibt das Geld?
Es ist fast unerträglich von ALLEN zu hören, wie wichtig Kinder sind und zu wissen, dass es eben NICHT so ist! Das Geld ist begrenzter denn ja, d.h. Prioritäten müssen sich verschieben!
Bis vor kurzem lag Bayern mit durchschnitt- lich 5.816 € Investitionskosten pro Jahr und Kind (unter sechs Jahren) im deutschlandweiten Vergleich an zweitniedrigster Stelle. Im Zeichen des Platzmangels wurde der Betrag nun um etwa 1.000 € angehoben. Die Finanzierung von Einrichtungen der Kindertagesbetreuung steht auf folgenden Säulen:
- Staatliche und kommunale kindbezogene Fördergelder (lt. Basissatz und Buchungszeiten)
- Projektbezogene staatliche Fördergelder (z.B. für Sprach- oder Assistenzkräfte)
- Freiwillige Betriebskostenförderung für reie Träger durch die Stadt Regensburg (zusätzlich 15% der kindbezogenen kommunalen Förderung
- Übernahme von Investitionskosten bei Neubauten oder Sanierungen
- Elternbeiträge
Der Basissatz für die staatl. Förderung eines Regelkindes (3 Jahre bis zur Einschulung) beträgt aktuell 1.320,10 € pro Kind und Jahr. Kinder mit Behinderung oder Migrationshintergrund sowie Kinder unter drei Jahren werden höher faktorisiert. In den letzten drei Jahren wurde der Basissatz insgesamt um ca. 7,4% erhöht. Das entspricht nur 90 € pro Regelkind und Jahr.
Fachkräftemangel
Warum konnte es überhaupt soweit kommen, dass allerorts pädagogische Fachkräfte fehlen? Warum spricht man erst jetzt darüber?
Viele Träger orientieren sich bei der Gehalts- gestaltung am Tarifvertrag Sozial- und Erzie- hungsdienst (TvöD SuE). Je nach Dauer der Berufserfahrung liegt das Grundgehalt (39 h/ Woche) einer Erzieherin zwischen 2.931 € und 3.979 €, einer Kinderpflegerin zwischen 2.572 € und 3.244 €. Die Stadt Regensburg zahlt ihren Mitarbeiter:innen darüber hinaus monatlich eine tarifliche Zulagen von 130 € und eine Arbeitsmarktzulage zwischen 250 € und 300 €. Für die Freien Träger gibt es keine Zuschüsse vom Freitstaat, um diese Zulagen zu finanzieren. Durch die Freiwillige Betriebskostenförderung der Stadt Regensburg haben die Freien Träger einen gewissen finanziellen Spielraum.
Assistenzkräfte in der Kita
Wie soll Sprachförderung/ Inklusion funktionieren, wenn man Personal aus dem Ausland rekrutiert (die dann oft selbst kaum Deutsch sprechen)? Die Arbeit bleibt wieder an denen hängen, die sowieso schon alles machen. Es sieht nur besser aus.
Die Bayerisches Staatsregierung versucht dem Fachkräftemangel insbesondere mit neuen Ausbildungsmöglichkeiten zu begegnen. Seit 2022 gibt es parallel zur klassischen Ausbildung modulare Weiterbildungsmöglichkeiten, die sich besonders an Quereinsteiger:innen richten. Berufsbegleitend kann man sich von der der Assistenzkraft bis hin zur pädagogischen Fachkraft qualifzieren. Insbesondere der Einsatz von bisher fachfremden Assistenzkräften (200 Unterrichtseinheiten) wird von der Politik als Lösungsansatz angesehen und seit 2022 finanziell bezuschusst. Die Kosten für die Weiterbildung als Assistenzkraft liegen bei etwa 2.000 € und müssen aktuell von den Kursteilnehmer:innen bzw. den Trägern getragen werden. 2022 wurde der Einsatz von Assistenzkräften durch das staatliche TP2000 Programm mit ca. 80% der Lohnkosten gefördert. Die Förderprogramme werden aktuell nur bis Ende 2024 verlängert, was den Trägern und Assistenzkräften nach wie vor keine Planungssicherheit biete.
Quelle und mehr Infos: Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme 2022 der Bertelsmannstiftung