Sie schienen wirklich das Unmögliche zu wollen, die 16 Frauen und der eine Mann, die sich am 17. Oktober 1971 erstmals zusammensetzten mit dem Ziel, in Regensburg ein kindgerechtes Klima zu schaffen. Aber sie haben es geschafft ...
„Seien wir Realisten - und fordern wir das Unmögliche!... Der einzige Weg realistisch zu sein, besteht darin, sich etwas auszudenken, das inner- halb der Koordinaten des bestehen- den Systems unmöglich erscheint“.
Zeitleiste 1972 bis 1982
Sie schienen wirklich das Unmögliche zu wollen, die 16 Frauen und der eine Mann, die sich am 17. Oktober 1971 erstmals zusam- mensetzten mit dem Ziel, in Regensburg ein kindgerechtes Klima zu schaffen.
„Die Kinder können ihre Hoffnungen und An- sprüche nicht durchsetzen, wir Eltern müssen es für sie tun, und zwar gemeinsam“ (aus dem Einladungsschreiben).
Regensburg war damals noch eine verschlafene Provinzstadt mit hauptsächlich drei gesellschaftlichen Größen: die katholische Kirche, das Fürstenhaus und einige einflussreiche Geschäftsdynastien. Der Erziehungsstil in den Familien war autoritär, die vorhandenen staatlichen Betreuungseinrichtungen wurden im Nachhinein auch als Aufbewahrungshorte bezeichnet. In den wenigen Regensburger Kindergärten kamen zwei Erzieherinnen auf sechzig Kinder. Gehorsamkeit, Pflichterfüllung und Disziplin galten als oberste Tugenden und wurden den Kindern durch Einschüchterung vermittelt, notfalls auch eingebläut.
„Wir mussten uns stundenlang still in einen Raum setzen und eine Kerze anschauen, immer verängstigt, dass Gott kommt und uns bestraft, wenn sich die Flamme bewegt... Die Krümel unserer Brotzeit klaubten wir vom Boden auf und versteckten sie in den Hosentaschen, nur um niemanden zu verärgern.“ (Regensburger Zeitzeuge, damals fünf Jahre alt).
Neue Linke, Erziehung und Dressur
Mit der Bewegung der 68er Jahre begann eine Zeit des grundlegenden politischen und gesellschaftlichen Wandels. Schlagwörter dieser Zeit sind: die Entstehung der „Neuen Linken“ mit der Forderung nach mehr Demokratisierung und neuen Lebensformen, Protestmärsche gegen den Vietnamkrieg, die Notstandsgesetze und das brutale polizeiliche Eingreifen gegen Demonstranten, sowie experimentelle Lebensformen in Kommunen und offenen Beziehungen. Der Wandel machte auch vor dem Thema Kindererziehung nicht halt. Die Kinder der Kriegsgeneration wollten es anders machen als ihre Eltern. Ganz anders. Es entstanden intellektuelle Zirkel, in denen man antiautoritäre Erziehungsmodelle diskutierte. In den Großstädten wurden Bürgerinitiativen gegründet und Kinderläden eröffnet.
Ziel war nicht mehr die Disziplinierung der Kinder, sondern die Stärkung von kindlichem Selbstbewusstsein und Persönlichkeit. 1963 wurde erstmals öffentlich das Thema „Erziehung und Dressur“ im Fernsehen kontrovers diskutiert.
"... die neuen Regensburgerinnen sahen mit kritischem Blick, was in der Stadt fehlte."
Nach Gründung der Universität Regensburg 1967 und dem damit verbundenen Zuzug junger großstädtischer Intellektueller mit ihren Familien erreichte diese Welle auch Regensburg. "Die „Regensburger Eltern“ waren – im Gegensatz zu mir – längst nicht alle Regensburger Eltern. Es waren eloquente, blitzgescheite, gut ausgebildete Frauen, zugunsten ihrer Kinder nicht berufstätig, die durch die berufliche Tätigkeit ihrer Ehemänner nach Regensburg zugezogen waren. Die neuen Regensburgerinnen sahen mit kritischem Blick, was in dieser Stadt fehlte, und brachten den Schwung mit, Änderungen zu versuchen. (Brigitte Feiner, Gründungsmitglied)
23 Vorschulkurse im ersten halben Jahr
Mit viel Idealismus und Tatendrang schufen die Gründermütter und Gründerväter Strukturen, von denen wir heute noch profitieren. Getrieben vom persönlichen Interesse und neuen kulturpolitischen Überzeugungen revolutionierten sie die Regensburger Erziehungslandschaft. Schon nach einem halben Jahr erreichten die Aktivitäten ein enormes Ausmaß.
„...wir hatten in den sechs Monaten seit dem ersten Treffen ... ein Programm auf die Beine gestellt, das uns selber verblüffte. Regensburg war schließlich nicht Berlin, wo Dutzende von Elterninitiativen für eine neue, verdächtig progressive Vorschulerziehung entstanden waren (...) 23 Vorschul- und Kreativ-Kurse, von ca. 230 Kindern zwischen 3 und 10 Jahren besucht, eine Spielschule (Kindergartengruppe) mit 20 Kindern, ein Schulfragenkreis, Informationsabende, ein Babysitterdienst und Nachbarschaftshilfe, das Projekt in der Kinderklinik „Das fröhliche Krankenzimmer“ und für den 17. Mai wurde die Einweihung des „eigenen Kinderhauses“ im Stadtparkpavillon angekündigt." (Dietmut Schnetz, Gründungsvorständin)
Von der privaten Initiative zum Standard in der öffentlichen pädagogischen Arbeit
Die Erfolgsgeschichte des Vereins, der am 19. April 1972 von 42 Mitgliedern unter dem Namen Hilfsgemeinschaft REGENSBURGER ELTERN gegründet wurde, setzte sich fort. Hausaufgabenbetreuung, Legastheniekurse, Spieltherapie, Organisation von Besichtigungen für Kinder, Kontaktstelle Elternhaus-Schule, Kleiderbasare, Judokurse, Theatergruppen, Musischer Arbeitskreis, Beteiligung am Bürgerfest, Spielbus, die Aktion Wohnstraßen in Regensburg, Informationsveranstaltungen und das Informationsblatt für Eltern – um nur einige Aktivitäten der ersten zehn Jahre zu nennen.
Viele dieser Aktionen wurden später von staatlichen Institutionen übernommen und so zum Standard öffentlicher pädagogischer Arbeit. Ein Meilenstein für den Verein war 1973 die staatliche Anerkennung des Kinderpavillons im Stadtpark als privater Kindergarten und die damit verbundenen städtischen Fördermittel. Öffentliche Anerkennung erhielten die Regensburger Eltern 1981, als die Stadt Regensburg zusammen mit Vertretern des Vereins den Preis „Die familienfreundliche Stadt“ der Bayerischen Staatsregierung entgegennahm.
Die Utopie wurde Realität - und vieles, was damals gefordert wurde ist jetzt selbstverständliche Normalität. Danke für Mut und Engagement, Hartnäckigkeit und Idealismus!