Wenn das gemeinsame Spielen mit den Kindern im Chaos endet: Was tun, wenn Verlieren Wut und Tränen auslöst? Unsere Expert:innen zeigen, wie kooperative Spiele die Situation entspannen können – und bietet praktische Tipps, damit Kinder lernen, Niederlagen zu akzeptieren.
Ich kenne die Schilderungen von einigen anderen Eltern, und auch bei uns läuft es häufig so ab: Wir spielen fröhlich mit unseren Kindern (4 und 6 Jahre ) ein Gesellschaftsspiel. Doch kaum zeichnet sich für unsere Ältere ab, dass Sie verliert, bricht das Chaos aus. Sie ist außer sich vor Wut, die Spielfiguren fliegen vom Brett und das Spiel geht damit für alle unschön zu Ende. Erklärungen, Ermahnungen, Beschwichtigungen, in dieser Situation hat derlei bisher nie wirklich geholfen. Um wieder gut miteinander spielen zu können, wählen wir nun meist „kooperative“ Spiele, also jene, wo wir als Familienteam gegen eine Figur antreten. Das klappt insgesamt deutlich besser. Allerdings möchte ich ja, dass unser Kind lernt auch mal zu verlieren. Haben Sie Tipps wie es gehen kann?
1Mit Geduld zum Ziel
Unsere Tochter tut sich ebenfalls sehr schwer damit, zu verlieren. Seit zwei Jahren ist sie die offizielle Spieletesterin dieser Elternzeitung und seitdem ist ihre Frustrationstoleranz deutlich besser geworden - inzwischen fliegen keine Spielbretter mehr durch unser Wohnzimmer aber die Tränen fließen manchmal trotzdem schnell.
Ihre Strategie mit den kooperativen Spielen finde ich sehr gut, aber wie Sie schon festgestellt haben, ist das keine befriedigende Dauerlösung – genauso wenig, wie z.B. das Kind zur Schonung der Nerven immer gewinnen zu lassen. Da bleibt der Lerneffekt aus. Wir versuchen durch unser Verhalten unserer Tochter zu zeigen, wie sie mit Spielniederlagen umgehen kann: indem wir ihr z.B. gratulieren und sagen, dass wir uns für sie freuen, obwohl wir auch traurig sind, dass wir verloren haben. Und schlagen vor, gleich nochmal zu spielen, weil der Ausgang dann ein ganz anderer sein kann. Verliert sie und ist traurig oder wütend, nehmen wir sie in den Arm und drücken unser Verständnis aus.
Ich würde Ihnen empfehlen, kompetitive Spiele wieder in ihren Spielalltag aufzunehmen und regelmäßig zu spielen, denn in der Wiederholung entfaltet sich der Lernprozess. Am Ende ist es wie mit vielen anderen Themen in der Entwicklung so, dass jedes Kind seine eigene Geschwindigkeit hat und geduldiges Dranbleiben irgendwann den gewünschten Effekt erzielt. Und ihre Tochter ist hiermit herzlich eingeladen, ein neues Spiel für die Elternzeitung mit uns zu testen!
2Verlieren muss kein Lernziel sein
Wenn Ihr Kind verärgert, enttäuscht oder gar unglücklich auf das Verlieren reagiert, lassen sie es sein. Ich meine damit, diese Art Spiele zu spielen. Den Kindern beim Spielen das Verlieren lernen zu wollen, ist nicht nötig. Das lehrt sie das Leben, und zwar immer „zur rechten Zeit“. Es ist das Missverständnis schlechthin, Kinder mit „Lernspielen“ fördern zu wollen. Kinder lernen immer im Spielen, das lässt sich nicht verhindert, außer mit erwachsener Besserwisserei. Spielen ist immer freiwillig und verfolgt keinen unmittelbaren praktischen Zweck. Spielen soll ein Quell der Freude und des Vergnügens sein. Menschen, die nicht verlieren können, wollen gewinnen. Der Umgang mit einer Niederlage wird mit zunehmendem Alter leichter. Im Vertrauen - ich bin 68 Jahre alt und Verlieren fällt mir immer noch schwer…
3Frustrationstoleranz und Selbstwertgefühl
Um gelassen und „mit Würde“ verlieren zu können, braucht der Mensch eine solide Fähigkeit zur Frustrationstoleranz. Diese wiederum wächst gut im Klima eines gesunden Selbstwertgefühls, das entlang vieler kleiner und größerer Erfolgserlebnisse im Leben eines Kindes gedeiht. Dabei zählt nur das Verhalten als gefühltes Erfolgserlebnis, das von der Umgebung entsprechend gesehen, benannt, anerkannt und gewürdigt wird. Wobei wir wieder bei der Würde wären…
Kleine Kinder erleben Misserfolge (wie das Verlieren im Brettspiel) noch gesamtseelisch und ganzkörperlich. Das eigene Versagen kann noch nicht als dummer Zufall oder „eben mal Pech gehabt“ gesehen werden, sondern es trifft die ganze Person mit der vollen Wucht des „Ich bin ein totaler Versager… zu nichts in der Lage… der letzte Looser.“ Mit im Gepäck kommen all die unangenehmen Gefühle wie Scham und Schuld, aber auch Wut, Ärger und Rache. Erstere unangenehm für die betroffenen Kinder selbst, letztere in ihrer Auswirkung vor allem für die unmittelbare Umwelt.
Wenn ein Kind sich auch mit voranschreitendem Alter weiterhin schwertut, zu verlieren, sollten wir also seinem Selbstwertgefühl Dünger geben und das kann sehr unterschiedlich aussehen.
Ein Beispiel: an sich war uns Eltern schon früh aufgefallen, dass sich unser jüngster Sohn beim Brettspiel mit uns schwertat, weil er partout nicht verlieren konnte. Irgendwann wollte er dann auch gar kein Brettspiel mehr spielen. Erst nach seiner Einschulung konnte ich einen Zusammenhang erkennen: er selbst hatte wohl schon lange vor dem ersten Schultag gefühlt, dass er sich mit manchen Fertigkeiten schwerer tat als seine Gleichaltrigen, wir Eltern realisierten das leider erst, nachdem die Diagnose einer schweren Legasthenie feststand. Schon im Kindergarten, besonders aber dann in der Schule hatte diese Einschränkung zu massiven, kontinuierlichen Misserfolgserlebnissen geführt, die sein Selbstwertgefühl heftig bedroht hatten. Diese schwere Zeit konnte er letztendlich gut mit seinem besonderen Talent für den Fußball kompensieren, wo er große und spürbar positive Resonanz erfuhr. Im Laufe der Zeit konnte er viel angemessener mit eigenen Misserfolgen umgehen.
Ich finde ihre Familienlösung dieses Themas pfiffig und hilfreich: im kooperativen Spiel kann ihr Kind solidarisches Miteinander im sicheren familiären Umfeld erleben und auch daran kann es in seinem Selbstwertgefühl wachsen. Darüber hinaus können Sie nach Bereichen forschen, in denen es schon Stärken und Ressourcen zeigt und diesen Pflänzchen dann noch mehr Raum zum Wachsen zur Verfügung stellen. So wird ihr Kind immer besser lernen, mit Rückschlägen souverän umzugehen.
Titelbild gemalt von Klara (12)
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