Etwas zwei Prozent aller Kinder sind intelligenter als der Durchschnitt. Oft ist das eine Herausforderung für die ganze Familie. Unterstützung und Hilfe gibt es für Betroffene bei „Die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind e.V.“. Markus Burgmaier leitet die Regensburger Elterngruppe.
Was versteht man eigentlich unter Hochbegabung?
MARKUS BURGMAIR: Unter Hochbegabung wird eine weit über dem Durchschnitt liegende intellektuelle Begabung verstanden. In der Psychologie gilt ein Mensch mit einem Intelligenzquotienten von mehr als 130 als hochbegabt. Der Bevölkerungsdurchschnitt liegt bei 100. Der IQ wird mit Intelligenztests gemessen, die aber nur eine Momentaufnahme darstellen und nicht alle Spielarten von Intelligenz erfassen können.
Wie viele Kinder sind hochbegabt?
Etwa zwei Prozent der Kinder gelten als hochbegabt, derselbe Prozentsatz wie unter Erwachsenen. Allerdings sehen wir bei der DGhK auch nur wieder einen Bruchteil, wenn Eltern beispielsweise über die DGhK für ihre Kinder Spiel-Kameraden „auf Augenhöhe“ finden möchten oder schlicht nicht mehr weiterwissen und Hilfe suchen.
Woran zeigt sich, dass ein Kind hochbegabt ist?
Hochbegabung kann erst ab ca. 5 Jahren mit Tests gemessen werden. Sie fallen jedoch schon früher auf. Die Kinder zeichnen sich durch sehr früh entwickelte, weit überdurchschnittliche Fähigkeiten und Interessen aus. Es gibt dabei eine Vielzahl von möglichen Hinweisen: Das Kind hat sehr früh ein starkes Interesse an seiner Umgebung. Es fängt früh an zu sprechen, bildet sehr schnell ganze Sätze. Es löchert Erwachsene mit aufeinander aufbauenden Fragen – auch zu nicht „altersgerechten“ Themen. Es erfasst komplexe Zusammenhänge und abstrahiert. Hat Spaß am Lernen. Zeigt einen starken Gerechtigkeitssinn und befolgt nur Regeln, die es selbst einsieht. Bringt sich selbst Lesen und Rechnen bei. Fällt durch eine starke Fantasie auf und zeigt Initiative und Originalität bei intellektuellen Herausforderungen. Ist ausgesprochen sensibel. Unterhält sich und spielt lieber mit älteren Kindern oder Erwachsenen. Es verblüfft durch eine schnelle Auffassungsgabe und ein gutes Gedächtnis. Es hat ein geringes Schlafbedürfnis.
Können Eltern selber unterscheiden, ob ihr Kind hochbegabt oder einfach nur aufgeweckt ist?
Gerade wenn es das erste Kind ist, haben Eltern oft Schwierigkeiten dabei. Es fehlt der Vergleich. Daher ist in der Praxis erst das Auftreten von Auffälligkeiten der Ausgangspunkt für das Erkennen der Hochbegabung. Zum Beispiel, wenn das Kind sich in der Schule unterfordert und missverstanden fühlt und dann zum Clown der Klasse wird, um wahrgenommen zu werden.
Mit welchen Vorurteilen oder falschen Vorstellungen sehen sich hochbegabte Kinder und ihre Eltern häufig konfrontiert?
Eine falsche Vorstellung ist sicherlich die weit verbreitete Meinung, dass Hochbegabung gleich Hochleistung ist. Es wird stillschweigend davon ausgegangen, dass hochbegabte Kinder so intelligent sind, dass ihr Potenzial sich ohne äußeres Zutun entwickelt. Doch die Forschung zeigt, dass nur etwa 50 Prozent der Hochbegabung vererbt ist, den Rest macht die Erziehung und das Umfeld aus, in dem die Kinder aufwachsen. Viele Eltern sehen sich auch dem Vorurteil ausgesetzt, dass sie ihr Kind zu einem „Intelligenzbol- zen“ erziehen würden.
"Diese Kinder verbergen ihre besonderen Begabungen, weil sie aufgrund langer Erfahrungen Angst vor Nachteilen haben."
Mit welchen typischen Themen oder Schwierigkeiten kommen die Familien zu Ihnen?
Ein Großteil der Eltern wendet sich an die DGhK, weil ihr Kind in der Grundschule Probleme hat oder sozial aneckt, und dabei die Vermutung einer Hochbegabung im Raum steht. Andere, weil es trotz nachgewiesener Hochbegabung zum Schulverweigerer und Minderleister geworden ist. Wieder andere suchen Rat, weil sie erst mal nichts mit dem positiven Intelligenztest ihres Kinds anzufangen wissen.
Wie helfen Sie dann weiter?
In allen Fällen steht zunächst das individuelle Gespräch im Vordergrund: Welcher Rat und welche Hilfe werden gesucht, was ist die spezielle Situation, wie das Umfeld, was wurde schon unternommen? Jeder Fall ist einzigartig. Wir können daher nicht DIE Lösung anbieten, wir können aber Möglichkeiten aufzeigen. Hierbei hilft auch unser regelmäßige Elterntreff, auf dem sie die Eltern austauschen können. Bayernweit bieten wir Seminare zu ausgewählten Themen an. Und die Kinder kommen auch nicht zu kurz. Immer wieder beobachten wir, dass vermeintliche Einzelgänger auf Wochenendfreizeiten oder Spieletreffs sich auf einmal mit anderen Kindern auf gleicher Wellenlänge anfreunden.
Sind hochbegabte Kinder automatisch besser in der Schule?
Hier ein klares und deutliches „Nein“. In unserer Gesellschaft ist die Meinung stark verbreitet, dass hochbegabte Kinder immer auch außergewöhnlich gute Leistungen in der Schule zeigten. Für viele hochbegabte Kinder trifft dies durchaus zu. Eine nicht unerhebliche Anzahl dieser Kinder entspricht aber gar nicht dieser Vorstellung. Diese Kinder verbergen ihre besonderen Begabungen, weil sie aufgrund langer Erfahrungen Angst vor Nachteilen haben. Sie fühlen sich nicht verstanden. Mädchen passen sich an, Jungs begehren auf.
Sind unsere Schulen gut auf hochbegabte Kinder eingestellt?
Seit der Kultusministerkonferenz 2015 hat sich viel getan. Es gibt zahlreiche Initiativen des Bundes und der Länder (wie auch von privaten Institutionen), um die klugen Köpfe von morgen zu entdecken und zu fördern. „Beschleunigung“ und „Anreicherung“ sind die Zauberworte. Schulartübergreifend werden Möglichkeiten wie Überspringen oder Wahlunterricht in der nächsten Jahrgangsstufe angeboten. In Wettbewerben können sich die Schüler beweisen oder Ferienseminare bieten bereichernde Erkenntnisse und Erfahrungen. Gleichwohl gibt es noch viel zu tun. Wir sehen zum Beispiel gerade, wie das Thema Hochbegabung in Kindergärten mehr und mehr thematisiert wird. Es braucht noch viel Aufklärungsarbeit bei Eltern, Lehrer:innen, Erzieher:innen und Institutionen, um das Thema Hochbegabung mit all seinen Facetten einer breiten Öffentlichkeit transparent zu machen und ihr das Stigma des Elitären zu nehmen.
Welche Beratungsmöglichkeiten und Angebote für Eltern und Fachkräfte gibt es?
Mittlerweile sind die Beratungsmöglichkeiten vielfältig. Bei der DGhK bieten wir Beratung und Hilfen für Eltern an, und für Lehrer:innen und Erzieher:innen auch Schulungen und Workshops. Eltern können sich in aller Regel aber auch individuelle Unterstützung bei Schulpsycholog:innen oder der schulpsychologischen Beratungsstelle holen. Wie überall sonst bietet auch das Internet Informationen in Hülle und Fülle zum Thema Hochbegabung und Fördermöglichkeiten. Auch auf den Seiten der DGhK finden sich Links zu einschlägigen öffentlichen und gemeinnützigen Einrichtungen und Beratungsstellen.
Welche take-home-message möchten Sie Eltern von hochbegabten Kindern noch mitgeben?
Hochbegabung und was damit einhergeht hat – wie vieles im Leben – seine Licht- und Schattenseiten. Wichtig ist letztendlich, dass sich ihr Kind verstanden und wohl in seiner Haut fühlt, es seine natürliche Neugier ausleben kann und die positive Förderung erhält, die es braucht und eigentlich auch will.