Wie die Eingewöhnung in Krippe, Tagespflege und Kindergarten abläuft und was Eltern für einen guten Start tun können: Erzieherin Michaela Nachtigall gibt Tipps.
Um den ersten Geburtstag herum kommt für viele Kinder die erste längere Trennung von den Eltern: der Start in der „Kita“. Besonders für Kinder unter drei Jahren ist eine sanfte Eingewöhnung wichtig, um Vertrauen zu den Erzieher:innen fassen zu können und sich an die neue Umgebung und die anderen Kinder zu gewöhnen. Aber auch für die Eltern kann die Eingewöhnung eine emotional herausfordernde Zeit sein.
So läuft die EIngewöhnung ab
Gängige Modelle für die Eingewöhnung sind das Berliner und das Münchner Modell, viele Einrichtungen setzen auch auf eigene Konzepte, die darauf basieren. Allen Konzepten ist gemein, dass der Übergang von der Familie in die Betreuungssituation durch die Eltern begleitet wird und die Trennungszeiten von den Eltern behutsam verlängert werden, während sich die Beziehung zu der Bezugsperson in der Kita Stück für Stück aufbaut. In den ersten Tagen besucht das Kind die Einrichtung zusammen mit einem Elternteil (oder auch einer anderen vertrauten Bezugsperson) für eine überschaubare Zeit. In dieser Zeit machen die Erzieher:innen Spielangebote und versuchen Kontakt zu dem Kind aufzunehmen. Die Eltern sind der „sichere Hafen“, von dem aus das Kind seine Umgebung erkunden kann, bleiben aber eher passiv. Erst nach ein paar Tagen kommt der erste Trennungsversuch: Mutter oder Vater gehen für wenige Minuten in einen anderen Raum. Wichtig ist sich zu verabschieden, denn das schafft Verlässlichkeit und das Kind kann sich sicher sein: Mama oder Papa sind nicht plötzlich weg.
Wenn dies funktioniert, wird die Trennungs-Zeit Tag für Tag gesteigert. Entscheidend ist dabei nicht, ob das Kind beim Abschied weint oder nicht, sondern ob es der Erzieher:in gelingt, das Kind zu trösten, denn das zeigt, ob es eine Bindung zu der neuen Bezugsperson aufgebaut hat. Je nach Alter des Kindes, Temperament und vorherigen Trennungserfahrungen geht dieser Prozess schneller oder langsamer. Er kann auch sechs Wochen oder länger dauern, besonders wenn noch etwas Ungeplantes – wie beispielsweise eine Erkältung – dazu kommt. Daher ist es empfehlenswert, genügend Zeit für die Eingewöhnung und vor einem beruflichen Wiedereinstieg einzuplanen.
„Es ist nicht nur eine Eingewöhnung für das Kind, wir gewöhnen die ganze Familie ein.“
Wie können wir Eltern uns auf die Eingewöhnung vorbereiten?
Michaela Nachtigall: Für mich fängt die Eingewöhnung schon vor dem ersten Tag in der Kita an. Ich finde es ganz wichtig, dass sich die Eltern im Vorfeld klar werden, ob sie ihr Kind mit einem Jahr oder zwei Jahren schon in Fremdbetreuung geben möchten.
Wenn die Eltern diese Frage für sich mit Ja beantworten, dann kommt es darauf an, die richtige Kita für die Familie zu finden. Das Kind verlässt sich ja darauf, was es von den Eltern wahrnimmt. Wenn sich Mama oder Papa in der Kita wohlfühlen, dann fühlt sich auch das Kind wohl. Daher müssen die Eltern ein gutes Gefühl bei den Erzieher:innen haben und sollten auf ihr Bauchgefühl hören – das ist für mich das A und O. Es ist nicht nur eine Eingewöhnung für das Kind, sondern wir gewöhnen die ganze Familie ein.
Die Eltern sollten daher auch im Vorfeld Möglichkeiten nutzen, um die Menschen in der Einrichtung kennenzulernen und erste Kontakte zu knüpfen, wie zum Beispiel Tage der Offenen Tür, Anmeldegespräche, Infonachmittage usw.
Und wie kann ich mein Kind auf die neue Situation vorbereiten?
Das sind kleine Sachen, die dem Kind den Weg in die Kita erleichtern. Gut ist es, immer wohlwollend von der Kita zu sprechen. Also zum Beispiel nicht zu sagen: „Du musst ab September in die Kita.“, sondern „Du darfst in die Kita gehen.“ Es hilft auch dem Kind immer wieder von der Kita zu erzählen, zum Beispiel, was die Kinder dort machen, was es für Spielsachen gibt usw. Wenn man die Namen der Erzieher:innen kennt oder ein Kind aus dem Bekanntenkreis in die Einrichtung geht, kann man dies auch einbauen. Man kann auch zusammen mit dem Kind einen Kita-Rucksack aussuchen und vielleicht ein Lieblings-Kuscheltier, das dann immer in die Kita mitkommt.
Wie kann ich den Prozess während der Eingewöhnung unterstützen?
Wichtig ist es, sich während der Eingewöhnung selbst zurückzunehmen und den Erziehern den Raum zu geben, um Kontakt zu dem Kind aufzunehmen und nach und nach eine Beziehung zu dem Kind aufzubauen.
Gleichzeitig ist ein enger Austausch mit den Erziehern natürlich weiterhin hilfreich. Die Eltern können zum Beispiel erzählen, welche Rituale es in der Familie gibt, zum Beispiel beim Einschlafen oder wenn sich das Kind wehgetan hat. Durch die bekannten Abläufe können die Erzieher dem Kind Sicherheit vermitteln.
Rituale schaffen Vorhersagbarkeit und geben dem Kind dadurch Sicherheit für den Übergang. Das kann zum Beispiel so aussehen, dass man morgens gemeinsam den Kitarucksack packt und dann immer den gleichen Weg in die Kita fährt.
Ich würde auch empfehlen, nachmittags wenig Programm einzuplanen. Die neue Situation, die vielen Reize, die anderen Kinder – das ist für die Kinder extrem viel zu verarbeiten.
Wie sollte ich reagieren, wenn mein Kind bei der Trennung weint?
Im ersten Moment löst die Situation natürlich Stress bei den Eltern aus. Aber im Grunde ist es ein gutes Zeichen, denn es zeigt, dass das Kind eine sichere Bindung zu seinen Eltern hat. Wenn das Kind schon beim Verabschieden anfängt zu weinen, dann muss man sich entscheiden, ob man trotzdem geht. Wenn es sich in dem Moment nicht richtig anfühlt zu gehen, dann kann man durchaus auch noch einmal dableiben. Irgendwann muss aber natürlich eine erste Trennung stattfinden. Dann sollte man sich kurz verabschieden und trotz des Weinens gehen. Hier empfehle ich außerhalb der Hörreichweite zu warten und Vertrauen in die Erzieher:innen zu haben, dass es ihnen gelingt, das Kind schnell zu beruhigen. Mit dem Handy können die Eltern ja trotzdem jederzeit zurückgeholt werden. Und im Anschluss ist es wieder gut, wenn man positiv oder zumindest neutral kommuniziert. Also lieber nicht zu dem Kind sagen: „Oh, das war schlimm für dich. Da hast du viel geweint", sondern auf das Positive fokussieren.
Wie ist es zu interpretieren, wenn das Kind nach dem Abholen weint?
Dass viele Kinder beim Abholen weinen, ist ein Zeichen von Stressabfall in dem Moment. Für die Kinder ist der Tag in der Kita anstrengend und so drücken sie ihre Gefühle aus. Hier sollte man einen Ausgleich am Nachmittag schaffen und bewusst „Quality Time“ miteinander verbringen, ohne das Kind zusätzlich mit Aktivitäten zu überreizen. Viel Körperkontakt, Buch anschauen … Hilfreich finde ich auch hier wieder Rituale.
Woran merkt ihr, dass ein Kind gut eingewöhnt ist?
Im besten Fall wenn sich das Kind von den Eltern selbstständig löst und verabschiedet. Das gibt auch den Eltern ein gutes Gefühl. Manche Kinder brauchen es dagegen als Ritual, dass sie vom Arm der Mama in den Arm der Erzieherin „übergeben“ werden. Das ist beides in Ordnung.
Wenn das Kind sich gut beruhigen lässt, die Abläufe in der Kita kennt, beim Morgenkreis mitmacht, sich frei in der Kita bewegt und offener wird für andere Kinder – das sind Zeichen, dass das Kind richtig angekommen ist. Das dauert meist länger als man vermutet, so circa bis Weinachten bei Start im September.
Übrigens gibt es auch häufig bei Kindern, bei denen die Eingewöhnung eigentlich unkompliziert war, eine Phase etwa nach 6 bis 8 Wochen, wo diese Kinder plötzlich anfangen bei der Trennung zu weinen. Denn dann ist den Kindern bewusst, was als nächstes kommt und dass Mama oder Papa nun gehen. Das Kind ist dann erst einmal traurig und weint. In der Regel lassen sich die Kinder in dieser Phase aber schon sehr schnell und gut von uns beruhigen.
Was kann ich tun, wenn die Eingewöhnung nicht klappt?
Wenn eine Trennung abgebrochen werden muss, weil sich das Kind nicht von den Erzieher:innen beruhigen lässt, dann heißt das für uns, dass es noch nicht der richtige Zeitpunkt war. Wir arbeiten dann daran, dass das Kind noch mehr Sicherheit bekommt und probieren es ein paar Tage später noch einmal.
Wenn sich das Kind aber dauerhaft gar nicht beruhigen lässt von den Erziehern, dann kommt der Punkt, wo sich Eltern und Erzieher:innen gemeinsam und offen fragen müssen, ob die Eingewöhnung abgebrochen wird. Manchmal klappt es dann ein paar Monate später. Für manche Kinder ist eine Kita aber auch nicht das richtige Betreuungskonzept oder diese Einrichtung war nicht die passende. Das bedeutet dann natürlich nicht, dass mit dem Kind etwas nicht stimmt, sondern nur, dass die Kita für dieses Kind nicht das Richtige ist. In diesem Fall ist es gut, wenn die Eltern einen Plan B haben. Wenn sich Mama oder Papa sehr schwer damit tun, das eigene Kind loszulassen, dann kann es manchmal sinnvoll sein, dass eine andere Person die Eingewöhnung macht, zum Beispiel der andere Elternteil oder auch die Oma/Tante.
Ist es sinnvoll, das Kind vor dem Start an bestimmte Schlafenszeiten zu gewöhnen?
Eher nicht. Der Kitatag ist ja sehr strukturiert. Es gibt Bringzeiten, Essenszeiten und eben auch Schlafenszeiten. Meistens fügen sich die Kinder sich schnell in den Rhythmus ein. Damit das Kind ausgeschlafen in den Kita-Tag startet, sollten die Eltern aber auf einen Krabbelstuben-kompatiblen Nachtschlaf achten. Also das Kind abends nicht zu spät ins Bett bringen, denn langes Ausschlafen ist ja nicht möglich. Schlechten Schläfern hilft manchmal auch der Kinderwagen beim Schlafen in der Kita, weil er ein Stück Zuhause in der Kita ist.
Muss ich abstillen, wenn mein Kind in die Krippe / Krabbelstube kommt?
Ganz schlecht ist es gleichzeitig mit der Eingewöhnung mit dem Abstillen zu beginnen. Wenn die Mama abstillen möchte, dann sollte sie dies lieber ein paar Wochen oder Monate vorher abschließen oder dann erst nach der Eingewöhnung angehen. Stillen ist ja viel mehr als Nahrungsaufnahme, sondern auch Sicherheit und Nähe für das Kind. Daher sollte man das nicht ausgerechnet in dieser Phase beenden. Eher ungünstig für die Eingewöhnung ist es, wenn das Kind bisher nur durch Stillen bei der Mama einschläft oder sich beruhigen lässt. Von daher hilft es, das Kind im Vorfeld an ein Ritual zu gewöhnen, das auch die Erzieher:innen durchführen können.
Hast Du noch weitere Tipps an die Eltern, die gerade eine Eingewöhnung planen?
Wenn die Eltern die Möglichkeit haben, den Zeitpunkt flexibel zu legen, dann sollte die Eingewöhnung nicht unbedingt mitten in der Fremdelphase starten. Auch mit 1,5 Jahren läuft es nach meiner persönlichen Erfahrung eher etwas komplizierter.