Kleinkind

Stoffwindeln – ist das etwas für uns?

Ulrike Hecht

Pro Tag werden in Deutschland etwa acht Millionen Wegwerfwindeln verbraucht, ein Kind wird in seinem Leben im Schnitt 8.000 Mal gewickelt und produziert damit etwa 1,5 Tonnen Müll. Dabei gibt es eine nachhaltige Alternative.

Pro Tag werden in Deutschland etwa acht Millionen Wegwerfwindeln verbraucht, ein Kind wird in seinem Leben im Schnitt 8.000 Mal gewickelt und produziert damit etwa 1,5 Tonnen Müll. Sind Stoffwindeln eine Alternative? Wir reden mit zwei erfahrenen Mamas und einer Stoffwindelberaterin.

Wickeln bereits mit Stoffwindeln: die Regensburger Mamas Katharina und Carola

Ihr wickelt mit Stoffwindeln. Wart ihr euch darüber mit euren Männern gleich einig?

KATHARINA: Nein, absolut nicht. Auch nach der Stoffwindelberatung – an der er leider nicht teilnahm – war er immer noch total dagegen. Erst als die ersten Stoffwindeln bei uns einzogen, ließ er sich immer mehr davon überzeugen. Inzwischen vermisst er die Stoffies richtig, wenn es mal Zeiten wie zum Beispiel im Urlaub gibt, in denen wir doch wieder auf Wegwerfwindeln zurückgreifen.
CAROLA: Mein Mann Andreas war interessiert an dem Thema, aber er war auch skeptisch. Er hatte Angst, dass Stoffwindeln unverhältnismäßig mehr Arbeit machen, war erschlagen von dem Angebot, das es an Systemen und Marken gibt, und er befürchtete, dass wir viel Geld für die Stoffwindeln ausgeben und dann nicht dabeibleiben würden. Aber die Vorteile konnten ihn schnell überzeugen und jetzt ist er ein richtiger Stoffwindelverfechter.

Berät Familien in Sachen Stoffwindel: Expertin Rebecca Bienefeld

Welche Stoffwindelsysteme gibt es überhaupt?

REBECCA BIENEFELD: Es gibt sehr viele verschiedene Systeme und die meisten davon werden abgekürzt, wie zum Beispiel All-in-One (die „Einmalwindel unter den Stoffwindeln“), All-in-Two – (Überhose und Einlage), All-in-Three (Überhose, Innenwanne, Einlage), Pocketwindeln (Überhose mit Tasche für Einlagen), Snap-in-One (Überhose mit Einlagen zum Einknöpfen), Höschenwindeln, Wollwindeln ... Sich hiermit zurecht zu finden ist nicht einfach. Eltern, die in die Thematik Stoffwindeln einsteigen, fühlen sich nter Umständen. schnell überfordert, gerade wegen dieser großen Auswahl. Ich versuche Eltern zu helfen herauszufinden, welches System gut zu ihnen passt. Meist entscheiden sie sich für ein System für die Nacht und ein anderes für den Tag.


Dauert das Wickeln nicht viel länger?

CAROLA & KATHARINA: Nein, das Wickeln an sich dauert bei uns nicht länger als mit Wegwerfwindeln. Aufgrund unserer Systemwahl muss man nur vorher die Windel vorbereiten oder ‚packen/stopfen‘ (wie man es in der Stoffwindelwelt nennt) und natürlich im Falle eines großen Geschäftes mit dem Massagestrahl der Dusche auswaschen.

Was muss man beim Waschen/ Pflegen der Windeln berücksichtigen?

REBECCA BIENEFELD: Eigentlich nicht viel! Gebrauchte Windeln sollen trocken und luftig gelagert werden. Zuerst werden die Windeln mit einem Vorwaschprogramm (inkl. Ab- pumpen) gespült. Anschließend werden sie mit einem Vollwaschmittel in Pulverform bei 60°C und extra Wasser mit Schleuderzahlen zwischen 800 bis 1.000 U gewaschen. Hin und wieder dürfen und sollen die Windeln gerne auf 90°C gewaschen werden. Das ist gut für die Fasern und die Waschmaschine. Auf flüsiges Waschmittel, Weichspüler und Hygienespüler soll verzichtet werden. All das greift die Fasern an und beeinträchtigt die Saugfähigkeit der Windeln. Im schlimmsten Fall gehen die Windeln dadurch kaputt.

Was macht man, wenn man unterwegs wickeln muss?

CAROLA: Kurz fluchen, dann wickeln, alles ab in den Wetbag und zu Hause hoffen, dass der Mann die Sauerei wegmacht. Nein, Spaß. Man hat die gepackte Stoffwindel dabei und die benutzte kommt in den Wetbag. Ganz einfach.
KATHARINA: Und für die Kinderkrippe geben wir jeden Tag drei gepackte Stoffwindeln im Wetbag mit. Beim Abholen nehmen wir sie (natürlich benutzt) einfach wieder mit nach Hause. So mussten wir nicht besonders viele Stoffwindeln anschaffen, in unserem Fall kommen wir mit acht PUL-Überhosen aus.

Was sagen andere Personen, die das Kind manchmal wickeln, dazu? z.B. Großeltern, Erzieher:innen, etc.?

KATHARINA: Wir hatten das große Glück, dass wir in der Krabbelstube der Regensburger Eltern e.V. mit der Idee auf offene Ohren stießen. Die Erzieherinnen unserer Jungs trennen sogar die Überhosen von den Saugeinlagen und sortieren sie in zwei verschiedene Fächer im Wetbag. So können wir die Überhosen viel öfter nutzen, bis sie gewaschen werden müssen. Das ist super!
REBECCA BIENEFELD: Meine Empfehlung an die Eltern ist: trefft eine Entscheidung für euch! Ihr werdet sehen, wenn ihr dahintersteht, zieht die Familie mit!

Sind die Kinder durch die dicken Windelpakete nicht weniger mobil beim Krabbeln oder Laufen lernen?

CAROLA & KATHARINA: Wir haben erst mit neun Monaten bzw. einem Jahr von Wegwerfwindeln auf Stoffwindeln umgestellt, da konnten die Kinder schon krabbeln oder stehen. Wir hatten aber seitdem nie den Eindruck, dass unsere Kinder durch die Windeln eingeschränkt wären.
REBECCA BIENEFELD: Die modernen Stoffwindeln können eine fantastische Passform und einen super Sitz haben. Sie stehen der Einmalwindel in nichts nach. Die Größe der Stoffwindel relativiert sich zudem mit dem Wachstum der Kinder. Damit sind die Kleinen in ihrer Entwicklung nicht eingeschränkt. Es gibt einige gesundheitliche Aspekte, die bei der Entscheidung für oder gegen Stoffwindeln eine Rolle spielen sollten. Unterstützend können sie beispielsweise bei einer Hüftunreife oder leichten Hüftdysplasie eingesetzt werden.

Wie reagiert die weiche Babyhaut auf Stoffwindeln?

CAROLA: Justus war oft rot oder wund, als wir noch mit Wegwerfwindeln gewickelt haben. Das ist mit den Stoffwindeln deutlich besser geworden.
KATHARINA: Manchmal gibt es Zeiten, in denen wir wieder auf Wegwerfwindeln zurückgreifen (z.B. im Urlaub oder bei Krankheit). Wenn wir dann wieder auf Stoffwindeln umstellen, kommt es manchmal vor, dass Lucas’ Po ein bisschen rot ist. Aber das hält maximal zwei Tage.
REBECCA BIENEFELD: Das ist ein komplexes Thema. Windeldermatitis tritt jedoch überwiegend bei Wergwerfwindeln auf. Das liegt an den enthaltenen Chemikalien und der fehlenden Atmungsaktivität der Windeln. Häufig ist das Wickelintervall auf Grund der starken Saugleistung von Wergwerfwindeln länger. Eine Kombination aus diesen Dingen ist meist die Ursache für Hautreizungen.

Ist den Kindern der feuchte Po nicht unangenehm bzw. wie reagieren die Kinder auf die Stoffwindeln?

REBECCA BIENEFELD: Im Gegenteil. Durch die spürbare Nässe lernen Babys schon sehr zeitig ihren Körper besser kennen und lernen Zusammenhänge zu verstehen. So zum Beispiel, wenn ich Pipi mache, werde ich nass. Ich gebe ein Signal. Ah ja – wenn ich Pipi gemacht habe und nass bin, werde ich gewickelt. Nass zu sein ist eine Ausnahme. In diesem Zusammenhang lernen Kinder auch das Pipi zu halten und im Schwall abzugeben. Das ist eine Voraussetzung für das spätere Trocken werden.

Ist es wahr, dass die Kinder schneller trocken werden?

REBECCA BIENEFELD: Kinder werden nicht schneller trocken, wenn sie Stoffwindeln tragen. Trocken werden wird maßgeblich von der Gehirnentwicklung beeinflusst. Lediglich die Körperwahrnehmung und das Verständnis für Nässe werden positiv beeinflusst.
KATHARINA: Das war mit einer der Gründe, warum ich Stoffwindeln interessant fand. Es ist irgendwie ein „natürlicheres“ Wickeln als mit Wegwerfwindeln, da die Kinder ohne die Superabsorber der Wegwerfwindeln eine Rückmeldung über ihre Ausscheidungen erhalten.

"Man freut sich jedes Mal, wenn man die Windel in den Wäschekorb und nicht in den Müll schmeißt."

Was sind Vorteile von Stoffwindeln gegenüber Einmalwindeln?

CAROLA: Natürlich produziert man weniger Müll. Man merkt schnell, dass man keinen stinkenden Windelmüll mehr raustragen muss. Außerdem sind Stoffwindeln insgesamt günstiger als Wegwerfwindeln. Man hat zwar am Anfang relativ hohe Ausgaben – bei uns waren das etwa 300 - 350 Euro – aber Wegwerfwindeln sind ja auch nicht billig und die Stoffwindeln kann man bei weiteren Kindern wieder nutzen oder sie weiterverkaufen.
KATHARINA: Es fühlt sich einfach natürlicher an, mit Stoff zu wickeln: Man hat keine Chemie, keine Produkte aus Erdöl, keine Lotionen oder gar Cortison am Po des Babys, was sehr beruhigend ist. Schön anzusehen sind Stoffwindeln übrigens auch.

Gibt es auch Nachteile gegenüber Einmalwindeln?

CAROLA & KATHARINA: Es ist schon mehr Arbeit – das kann man nicht leugnen. Aber dafür freut man sich jedes Mal, wenn man die Windel in den Wäschekorb und nicht in den Müll schmeißt. Die einmaligen hohen Anschaf- fungskosten sind zum Glück auch schnell vergessen – man kann sogar richtig süchtig nach den hübschen Designs werden.

Ist die Ökobilanz von Stoffwindeln wirklich besser?
REBECCA BIENEFELD: Stoffwindeln benötigen in der Herstellung ähnlich viele Ressourcen wie Wegwerfwindeln. Die Ökobilanz wird allerdings positiv beeinflusst, da die Windeln mehrfach verwendet werden können. Zusätzlich kann man weiteren Einfluss durch die Art des Waschens und Trocknens nehmen. Fakt ist aber, dass die Ökobilanz von sehr vielen Faktoren abhängt und positiv als auch negativ vom Verbraucher beeinflusst werden kann.

Welchen Tipp wollt ihr Eltern, die mit dem Gedanken spielen, auf Stoffwindeln umzusteigen, noch geben?

CAROLA: Wir können nur empfehlen, eine Beratung zu machen. Wir haben uns damals alle möglichen Systeme und Marken angesehen. Auch Facebook-Gruppen helfen gut weiter. Solltet ihr euch dann doch dagegen entscheiden – man kann die Windeln sehr gut gebraucht verkaufen. Das finanzielle Risiko ist wirklich überschaubar.
KATHARINA: Man muss sich auch keinen Druck machen. So wickeln wir zum Beispiel nachts immer noch mit Wegwerfwindeln – warum weiß keiner so genau. Auch in der Kinderkrippe liegt immer eine Packung Wegwerfwindeln parat, falls die mitgegebenen Stoffwindeln nicht ausreichen. Das Wickeln mit Stoff soll sich gut anfühlen und nicht zu Stress werden. So sehen wir das. Also traut euch einfach und probiert es aus.