Nach einem anstrengenden Tag zwischen Kinderbetreuung, Beruf und Haushalt entspannen sich viele Eltern gerne bei ein, zwei „Gläschen“ Rotwein oder Bier auf der Couch. Harmloses Ritual zur Stressbewältigung oder schon ein Abhängigkeitsproblem? Marion Santl, Diplom-Psychologin und Leiterin der Fachambulanz für Suchtprobleme in Regensburg sowie des Referats Suchthilfe und Sozialpsychiatrie der Caritas Regensburg, gibt Antworten.
Warum kann das liebgewonnene „Feierabendbier“ oder der tägliche „Absacker“ zum Entspannen und vielleicht auch um besser einschlafen zu können problematisch werden? Und ab wann muss man eigentlich von Abhängigkeit sprechen?
Marion Santl: Die Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung ist ein schleichender Prozess, der lange Zeit unbemerkt ablaufen kann. Eine Abhängigkeit entsteht nicht plötzlich aufgrund einer bestimmten Ursache. Letztendlich wird eine Abhängigkeitserkrankung über die (negativen) körperlichen, psychischen und sozialen Folgen bestimmt. Also konsumiert jemand weiter, obwohl er/sie schon körperliche Beeinträchtigungen merkt, sich psychische Belastungen entwickeln und es auch soziale Probleme, wie in der Paarbeziehung, der Familie, in der Arbeit. Anzeichen können auch sein, wenn ich immer wieder einen Drang verspüre zu konsumieren, obwohl es gerade nicht angebracht ist, z.B. weil ich noch Auto fahren muss. Oder ich die Menge oder das Ende nicht mehr kontrollieren kann, das heißt aus einem kleinen Glas Wein wird regelmäßig die ganze Flasche.
Was ist „normaler“ Genuss bzw. gibt es einen gesundheitlich unbedenklichen Alkoholkonsum?
Bis vor einiger Zeit nahm man tatsächlich an, dass ein moderater Alkoholkonsum gesund wäre – erst größere Mengen sollten ungesund sein. Heute weiß man, das stimmt nicht. Fachleute gehen jetzt davon aus, dass Alkohol grundsätzlich das Risiko für Gesundheitsschäden erhöht. Es gibt also keinen risikofreien Konsum – auch nicht bei Alkohol. Immer mehr wissenschaftliche Studien belegen, dass auch geringe Mengen krank machen können. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) vertritt ganz klar die Position, dass es besser ist, keinen Alkohol zu sich zu nehmen. Einen „normalen“ Konsum aus fachlicher Sicht gibt es also nicht.
Was kann ich tun, wenn ich bei mir bemerke, dass ich regelmäßig Alkohol zur Entspannung nutze oder schwer auf Alkohol verzichten kann?
Der erste Schritt ist hierbei schon geschehen: den eigenen Alkoholkonsum zu reflektieren. Immer wenn ich nicht ausschließlich zu Genusszwecken trinke, also um etwas zu erreichen, zum Beispiel Entspannung, Gedankenstopp, Ablenkung, Umgang mit unangenehmen Gefühlen etc., nutze ich den Alkohol als Mittel zum Zweck. Ich „missbrauche“ sozusagen den Alkohol. So erhöht sich das Risiko einer Abhängigkeitsentstehung. Wenn ich also selbst bemerke oder auch von einer nahe stehenden Person auf meinen vermehrten Alkoholkonsum aufmerksam gemacht werde, sollte ich versuchen selbst die Menge zu reduzierten bzw. ganz auf Alkohol zu verzichten. Dazu ist es unterstützend sich entweder mit einer Vertrauensperson dazu auszutauschen oder auch mit einer Fachperson zum Beispiel an einer Beratungsstelle über die eigene Situation und Gedanken hierzu zu sprechen.
Wir begegnen allen Ratsuchenden auf Augenhöhe und zieloffen, versuchen also gemeinsam zu klären, was erreichbare Ziele sind und was es für Möglichkeiten dafür gibt.
Und was kann ich tun, wenn ich den Eindruck habe, dass meine Partnerin oder mein Partner zu viel trinkt?
Auch hier ist es wichtig sich unbedingt Unterstützung zu holen, mit den eigenen Sorgen nicht alleine zu bleiben. Die Beratungsstellen sind ebenso eine wichtige Anlaufstelle, die alle Angehörigen beraten und begleiten.
Was passiert in der Fachambulanz? Wie läuft eine Beratung ab?
Die Caritas Fachambulanzen für Suchtprobleme sind Beratungsstellen. Zu uns können alle Ratsuchenden rund um das Thema Konsum und Abhängigkeit, egal ob Betroffene, Angehörige oder Fachkräfte, kommen. Die Beratungen sind kostenfrei. Alle Beratenden unterliegen der Schweigepflicht, das heißt es dringt nichts nach außen oder an Dritte.
Wir begegnen allen Ratsuchenden auf Augenhöhe und zieloffen, versuchen also gemeinsam zu klären, was erreichbare Ziele sind und was es für Möglichkeiten dafür gibt. Dann wird nach dem Erstgespräch miteinander vereinbart, ob oder wie es in der Beratung weitergehen kann. Unsere Angebotspalette ist hier groß: von einer Vermittlung in eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, einer ambulanten Therapie, regelmäßige oder lose Beratungsgespräche – einzeln oder in der Gruppe. Wichtig ist, dass wir uns über das Thema Konsum – egal ob Alkohol, Nikotin, illegale Substanzen oder auch Verhaltensabhängigkeiten unterhalten. Oft sind diese Themen – Abhängigkeitserkrankungen sowie psychischer Erkrankungen – in einer Tabuecke und die Betroffenen fühlen sich und ihre Angehörigen stigmatisiert. Die Scham- und Schuldgefühle auf Grund der Erkrankungen sind weiterhin groß. Dadurch ist der Weg ins Hilfesystem erschwert. Wenn Betroffene und deren Angehörige früher an fachliche Beratung und Unterstützung gelangen, kann dies viel Leid ersparen und eine Chronifizierung verhindern.