Familienpolitik, Menschen

Hilfe in der Not für ukrainische Flüchtlinge

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von Johann Brandl

Wie geht und ging es Regensburger Familien, die spontan Menschen in höchster Not bei sich aufgenommen haben? Wie waren die Erfahrungen und kann man dies weiteren Familien empfehlen? Würden Sie es wieder tun? Ein Lagebericht von drei Regensburger Familien.

Seit über einem Jahr führt Russland nun den Angriffskrieg gegen die Ukraine und dies vor allem auch gegen die ungeschützte Zivilbevölkerung. Von den circa 44 Millionen Ukrainer:innen gibt es innerhalb des Landes rund sechs Mio. Binnenflüchtlinge, knapp fünf Millionen haben mittlerweile das Land verlassen und überwiegend in Europa Schutz gefunden, davon wiederum etwa eine Million in Deutschland – überwiegend Frauen und Kinder.

Ein Dach über dem Kopf, Essen, Trinken, eine geheizte Wohnung mit fliessend warmen Wasser? Praktisch für alle Deutschen ein Selbstverständlichkeit. Schon der Gedanke, dass es im Winter ungeheizte Wohnungen geben könnte, ließ einige Politiker von „Aufständen“ schwadronieren.

Eine Million Flüchtlinge alleine in Deutschland, das stellt eine große Herausforderung dar, für die Bevölkerung, die zuständigen Behörden, aber vor allem natürlich für die Geflüchteten selbst. Man kann es daher nicht hoch genug einschätzen, dass sich zigtausende BürgerInnen bereit gefunden haben, geflüchteten Ukrainern direkt in ihren Häusern und Wohnungen eine – wenn auch meist befristete – Bleibe anzubieten.

Wie geht und ging es Regensburger Familien, die es auf sich genommen haben spontan Menschen in höchster Not bei sich aufzunehmen? Wie waren die Erfahrungen und kann man dies weiteren Familien empfehlen? Würden Sie es wieder tun? Ein Lagebericht von drei Regensburger Familien.

Das Ankerzentrum in der Zeissstraße

Familie F-B.

Im Frühjahr 2022 wurden meine Büroräume (die sich im privaten Wohnhaus befanden) frei und wir kamen schnell zu dem Entschluss, dass wir diese Fläche – zu der auch ein kleines Bad mit WC gehört – an ukrainische Flüchtlinge vergeben möchten. Unsere Familie (Frau, Mann zwei Kinder 15 und 12 samt Hund) füllte bei space eye online ein Wohnungsangebot aus, zwei Tage später kam eine Familie begleitet von einer Flüchtlings-Patin, um sich vorzustellen. Weitere zwei Tage später – Mitte Mai – zog dann die Mutter mit ihren beiden Söhnen (24 und 14 Jahre) ein. Später kam dann auch noch kurzfristig die Oma in diesem einzigen großen Raum unter. Am Anfang fehlte es noch an allem, da ja der Büroraum außer einer Küchenzeile praktisch leer war. Einige Dinge kauften wir schnell ein, andere Dinge konnte man über private Kontakte und E-Bay Kleinanzeigen organisieren und kaufen. Die Familienmitglieder waren sehr höfliche, feine aber auch zurückhaltende Menschen. Der ältere Sohn studierte in der Ukraine bereits Medizin und konnte Englisch, die Mutter und der jüngere Sohn waren anfangs mehr oder weniger sprachlos. Der ältere Sohn kümmerte sich sehr selbstständig um alle Anträge und Formalitäten. Nur wenn sie gar nicht weiterkamen schalteten wir uns ein, z.B. um den jüngeren Sohn in einer Brückenklasse unterzubringen. Entweder waren die Klassen schon voll oder es gab zwar Platz in der Klasse, aber die Schule fühlte sich nicht zuständig, weil der Junge – inzwischen 15 geworden – zu alt war und an die Berufsschule hätte gehen müssen, wo es aber wiederum gar keine Brückenklasse gab. Da habe ich viele Telefonate geführt.

Warum macht man das? Es ist für mich eine selbstverständliche Frage der Menschlichkeit im Sinne eines Wertekanons, der es uns ermöglicht gut zusammen zu leben.

Von Anfang an lebte die Familie in der EG-Wohnung sehr zurückgezogen und benutzte auch wenig die Möglichkeit die Terrasse oder den Garten mit zu benutzen. Da vom Start weg klar war, dass dies nur eine Übergangslösung sein kann, versuchten wir mit der Familie eine dauerhafte Bleibe zu finden. Auch hier war es sehr mühsam sich durchzufragen, beim wem welche Anträge gestellt werden müssen und wer überhaupt zuständig ist. Wohnberechtigungsschein, Vormerkbescheid u.s.w. Als unglaublich bürokratisches Hindernis stellte sich z.B. heraus, dass wir mit der Familie einen Mietvertrag geschlossen hatten. Während das zuständige Sozialamt den neuen Mietvertrag zu einem Viertel für die in Ruhestand befindliche Oma sofort genehmigte, sah das Jobcenter (zuständig für die anderen drei Familienmitglieder) erstmal keinen Anlass für eine andere Wohnung eine Erlaubnis zu erteilen. Anfangs boten wir der Familie von dem an was wir selber hatten, Lebensmittel zum Beispiel. Das haben wir auch bis zum Schluss so gehalten. Trotz der vielen Kontakte haben wir aber eher nebenher als miteinander gelebt. Schließlich fand die Familie im Oktober eine Wohnung und wir haben sie zum Besichtigungstermin begleitet. Im November konnten sie einziehen und wir haben dann auch beim Umzug nochmals kräftig mitgeholfen und handwerklich unterstützt. Seither hatten wir nur noch sehr wenig Kontakt.

Familie P-B.

B. ist sehr froh, dass er zusammen mit seiner Familie helfen konnte, auch wenn es „schon schwierig ist mit komplett fremden Menschen das Haus zu teilen“.

Die Familie kam über die Tochter zu ihrer ukrainischen Familie. Sie hatte als Sprachassistentin für das Goethe-Institut im Schuljahr zuvor in der Ukraine gearbeitet, konnte aufgrund von Covid jedoch nicht vor Ort, sondern nur von zuhause aus online tätig sein. In einem Sprachclub hatte sie dabei T. und ihren Mann aus Cherson kennengelernt. T. setzte sich mit ihrem neunjährigen Sohn noch am 24. Februar in den letzten Bus der aus Cherson abfuhr, um sich nach Deutschland zu retten. Ehemann und Schwiegereltern blieben in der Ukraine zurück. Zuerst flohen sie nach Berlin und über weitere Stationen landete sie schließlich bei der Familie P-B in Regensburg. Sie zogen in das Gästezimmer unter dem Dach, das ein eigenes Bad mit WC hatte. Die Küche und sonstigen Einrichtungen wurde stets gemeinsam genutzt. T. ist eine unglaublich agile und aktive Frau, die sich von Anfang an selbst um ihre Angelegenheiten kümmerte. Alle Behördengänge machte sie selbst, bald nach der Ankunft machte sie auch die Supermarktkäufe und sonstigen Besorgungen eigenständig. Darüber hinaus arbeitete sie bereits im Mai als Betreuerin an der Napoleonsteinschule, sorgte sich um verletzte ukrainische Soldaten die in den Regensburger Krankenhäusern lagen und half mit, medizinisches Gerät für die Lieferung in die Heimat zu organisieren und zu verschicken.

Am Anfang wurde noch gemeinsam gekocht und gegessen, da die Gastfamilie aber ein herausforderndes Berufsleben führt, wurden diese gemeinsamen Treffen schnell weniger und die Abende verbrachte T. und Ihr Sohn meist im Gästezimmer mit Videochats in die Heimat. Der Sohn (9) zeigte wenig Interesse an der Sprache und Kontakten, seine Tischsitten waren „gewöhnungsbedürftig“. Gemeinsam wurde mal ein Jahnspiel besucht oder beide halfen mit bei einer Müllsammelaktion im Viertel. Sicher halfen T. beim Neustart in Deutschland die vorhandenen Sprachkenntnisse und dass sie bereits Freunde und Kontakte von früher hatte und eine gute Planerin ist. So war es rückwirkend betrachtet auch nicht überraschend, dass sie bereits im Mai ein kleines Appartement beziehen konnte. Finanziell konnte es sich die Gastfamilie leisten die Räume kostenlos zur Verfügung zu stellen.

Flüchtlingsunterkünfte in der Guerickestraße

Familie K-W

Privatsphäre ist unverzichtbar.

Die Familie K-W hatte sich schon früh dafür entschieden „Hilfe in der Not“ zu gewähren. A. räumte ihr nicht mehr benötigtes Arbeitszimmer aus und auch das nur noch sporadisch benutzte Kinderzimmer wurde mitsamt dem zweiten Bad und einer kleinen Kochgelegenheit bereitgestellt.

Der Kontakt zu den Geflüchteten kam über den Bekanntenkreis zustande, auf der Rückfahrt eines Hilfskonvois nahmen diese spontan fünf Personen mit. Zwei Mütter mit ihren jeweils 16 jährigen Töchtern und einem 12 jährigen Sohn, die Väter blieben im Kreis Dnipro zurück. Die Anfrage kam am 13. März spontan aus Budapest und gute 5 Stunden später zogen die Familien bereits ein.

Vier Wochen später konnte zusätzlich eine kleine Wohnung im Haus bereitgestellt werden (die Schwester der Helferfamilie zog vorübergehend zu Ihrem Partner), so dass die Wohnsituation von da an entzerrt war. Um gegenseitig die Privatsphäre zu wahren wurde z.B. die Glastür zum Wohnzimmer mit Folie beklebt, so dass man sich beim Kommen und Gehen „optisch“ nicht in die Quere kam. Nur die Mädchen sprachen anfangs ein wenig Englisch der Rest nur russisch/ukrainisch, so dass die Verständigung relativ schwierig war. Hilfreich waren die vielen russisch sprachigen Helfer in Regensburg und die über die jüdische Gemeinde vermittelte psychologische Betreuung.

Zunächst mußte ersteinmal viel beschafft werden, angefangen mit Kleidung über Einkaufsgänge und natürlich die behördlichen Bescheinigungen. Familie K-W empfand die Verwaltung insgesamt als sehr freundlich und willig, allerdings sind die Wege der Bürokratie verschlungen und kompliziert und selbst für Akademiker sind Bescheide oft un- bzw. missverständlich. In der Summe hat sich aber der deutsche Sozialstaat als sehr zuverlässig bewährt. Bereits am dritten Tag gab es Geld und auch bei den Zuschüssen für die später eigenen Wohnungen kamen die Unterstützungen zuverlässig. Hilfreich war, dass die aufnehmende Familie ein gut strukturiertes Büro (PC, Scanner, Drucker) besaß, so dass vieles per E-mai erledigt werden konnte. Dennoch waren zahlreiche begleitete Behördengänge und Telefonate unerlässlich, „das geht schon an das Nervenkostüm“.

Beide Mädchen bekamen sehr schnell täglich per Videokonferenz ukrainischen Unterricht und bestanden auch die Jahrgangsklasse. Aufgrund der weitgehenden Zerstörung des ukrainischen Stromnetzes durch russische Angriffe funktioniert dies aktuell leider nicht mehr so gut wie bis zum Herbst 2022. Zusätzlich gab und gibt es in Regensburg Willkommenskurse und der 12 jährige ist in der Willkommenklasse am Judenstein untergekommen. Nachmittags gibt es zusätzlich Sprachkurse, d.h. die Jugendlichen sind täglich beschäftigt und die Sprachkenntnisse sind dementsprechend gut gewachsen. Eines der Mädchen konnte daher schon einen Minijob in der Gastronomie annehmen. Im Gegensatz dazu entwickeln sich die Sprachkenntnisse der Mütter noch relativ langsam. Der Junge spielt sehr gerne Fußball und wurde von Anfang an von der Svgg Ziegetsdorf hervorragend aufgenommen.

Seit ihrem Auszug in eigene Wohnungen - bei dem die Helferfamilie rund 30 VW-Busfahrten absolvierten - sind die beiden Familien wie von Anfang an sehr selbständig und kommen mehr und mehr in der Regensburger Welt an. Aber bei amtlichen Schreiben und Fragen kommen sie immer noch gerne auf ihre Ersthelferfamilie zu.