Am 8. Oktober ist Landtagswahl. Bereits Ende Mai haben die Vereine Regensburger Eltern und pro familia Regensburg im Rahmen eines Podiums mit den Regensburger Direktkandidat:innen über Familienpolitik gesprochen – mit Fokus auf Familien mit Kindern unter sechs Jahren. Unsere Kommentatorinnen schauen nochmal zurück auf die Veranstaltung und wundern sich: War das nun gut? Warum sind sie eigentlich nicht rundum zufrieden nach Hause gegangen? Und vor allem: Wie geht es nun weiter mit der Familienpolitik in Bayern?
Es ist erschreckend, wie sehr familienpolitische Themen in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurden und Eltern und Kinder diese multiplen Krisen – von der Kita- über die Bildungskrise – jetzt ausbaden dürfen. Das hat auch Auswirkungen auf das Politikvertrauen von Eltern: Viele fühlen sich politisch im Stich gelassen und Studien belegen, dass sich manche gar ganz von „der Politik“ abwenden oder aus Protest mit rechtspopulistischen Parteien liebäugeln. Unsere Veranstaltung sollte das elterliche Vertrauen in Politik und Demokratie wieder stärken. Rückblickend sind wir auch ganz zufrieden: Etwa 50 Menschen im Publikum haben sich engagiert beteiligt, die Direktkandidat:innen gute Ideen vorgestellt und im Garten des Stadtparkkindergartens wars bei Frühsommerwetter, Kaffee und Kuchen einfach wunderbar.
Und gleichzeitig sind wir auch unzufrieden: Denn die Kommentare und Fragen, die die Eltern vor und während der Veranstaltung schriftlich einreichen konnten, machten deutlich, wie angeknackst das Vertrauen und wie groß die Resignation der Eltern ist. Drei Beispiele: „Es ist fast unerträglich von ALLEN zu hören, wie wichtig Kinder sind und zu wissen, dass es eben nicht so ist!“ – „CSU/FW fordern mehr Geld für Betreuung etc. (so wie alle anderen auch). Meine Frage: CSU/FW regieren, wo bleibt das Geld???“ – „Es wird geredet und versprochen, aber nur wenig gehandelt!“
Wir kennen keinen einfachen Weg aus dieser Misere. Was uns aber bei der Veranstaltung klar wurde: Es braucht ehrliches Bedauern und im besten Fall eine Entschuldigung von Seiten der Politiker:innen. Wie in jeder zwischenmenschlichen Beziehung ist das nach Fehlverhalten und einem Vertrauensbruch die Grundlage dafür, dass das Gegenüber wieder Vertrauen schenken kann. Und nicht nur das: Der Wille, es besser machen zu wollen, muss erkennbar werden – und das ehrliche Interesse daran, was dazu notwendig ist.
Wir wissen natürlich, dass es in puncto Fehlerkultur gesamtgesellschaftlich und auch in der Politik viel Luft nach oben gibt. Politische Fehlentscheidungen werden oft vertuscht, abgestritten, ausgesessen oder nur scheibchenweise zugegeben. Für ein Eingeständnis bestimmter Versäumnisse und Fehlentscheidungen der verantwortlichen Politiker:innen für den Bereich frühkindliche Bildung ist es jetzt aber höchste Zeit.
Durch eine Förderung des Bundesprogramms “Demokratie leben!” konnte eine Videoaufzeichnung gemacht werden, die auch auf unserem YouTube Kanal abrufbar ist.
Wer kann Familien gut vertreten?
Einen Wahlkampf zu bestreiten und im Anschluss eventuell Berufspolitiker:in zu sein erfordert sehr viel Zeit. Demokratisch gewählte Stellvertreter:innen üben Politik in Vollzeit (und oft darüber hinausgehend) aus. Das verhindert, dass Menschen, die täglich viele Stunden Care-Arbeit leisten und sich um Kinder, pflegebedürftige Angehörige und Haushalt kümmern, Berufspolitiker:innen sein können. Selbst ehrenamtliches parteipolitisches Engagement ist schwer mit viel Care-Arbeit zu vereinen. Dadurch fehlen in den Parteien unter anderem Alleinerziehende und andere Care-Verantwortliche, die zum Beispiel nur schwer an Treffen am Abend teilnehmen können. „Parteien haben derzeit keine ausreichenden Strategien, um zu leicht zugänglichen und inklusiven Organisationen zu werden, die eine bessere Repräsentation aller Menschen ermöglichen“, schreibt die Journalistin Teresa Bücker, die sich viel mit Fragen der Zeit- und Machtverteilung beschäftigt.
Wir wollen nicht falsch verstanden werden: Wir denken nicht, dass man nur aus eigener Erfahrung oder Betroffenheit heraus politisch gut für ein Anliegen eintreten kann, und glauben grundsätzlich an die menschliche Empathie-Fähigkeit. Gleichzeitig hat sich auch auf unserer Veranstaltung an manchen Stellen gezeigt, dass sich die Politiker:innen auf dem Podium nicht der ganzen Tragweite der Frage nach Vereinbarkeit von Beruf und Care-Arbeit bewusst sind. Vielleicht auch weil sie das Thema nicht unmittelbar betrifft? Weil sie Partner:innen haben, die Ihnen die Care-Arbeit größtenteils abnehmen, oder die eigene Kinder längst groß und aus dem Haus sind?
„Wenn Sie jetzt ein Kind bekommen würden, wie lange würden Sie in Elternzeit gehen?”: Die Antworten auf diese scheinbar lustige und leichte Frage aus dem Publikum fanden wir besonders interessant und aufschlussreich. Die Politiker:innen beteuerten, sich beim nächsten Kind mehr anzustrengen und nachts öfter zum Wickeln aufzustehen. Oder es wie eine Parteikollegin zu machen, die ihr Baby einfach zur Arbeit mitbringt. Vor allem die letzte Aussage erinnerte uns an unsere früheren naiven Ichs. Es ist so wichtig und wertvoll, wenn Arbeitgeber:innen akzeptieren, dass Mitarbeiter:innen ihre Kinder am Arbeitsplatz betreuen und mit Baby auf dem Arm an Arbeitsterminen teilnehmen. Aber klar ist auch: Wer wirklich konzentriert und fokussiert arbeiten will, der hat eine wunderbare Betreuung: eine Kita mit stabilem, kompetentem Personal, im besten Fall über dem gesetzlichen Personalschlüssel, eine:n Partner:in in Teilzeit, jemanden, der notfalls schnell mal einspringen kann und eine:n verständnisvolle:n Arbeitgeber:in – wohlgemerkt alle der genannten Punkte gleichzeitig.
Berufspolitiker:innen müssen keine Superheld:innen sein und auf individueller Ebene das Unmögliche, nämlich die Vereinbarkeit von Berufspolitik und Care-Arbeit, hinkriegen. Aber wir würden uns wünschen, dass sie sich auf struktureller Ebene dafür einsetzen, dass auch Care-Verantwortliche parteipolitisch aktiv und sogar Landtagsabgeordnete werden können – ganz ohne Superheld:innen sein zu müssen.
Familie = Mutter, Vater, Kind?
Auf dem Podium der Veranstaltung wurde sehr häufig der Begriff Familie genannt und darüber diskutiert, was „Familien“ brauchen. Das ist schön, darum ging es ja auch. Allerdings fehlte hier, in unserer Wahrnehmung, das weiter gefasste Bild von Familie jenseits der Kleinfamilie. So wurde weder über die Bedürfnisse von queeren oder Mehrelternfamilien mit LGBTQI*-Personen und ihren Kindern gesprochen noch über die Herausforderungen von Allein- oder Getrennterziehenden oder Familien im Bürgergeldbezug. Auch gab es nur wenige konkrete Aussagen darüber, wie Migrant:innen mit Kindern im Besonderen berücksichtigt werden. Körperlich, geistig oder seelisch beeinträchtigte Eltern oder Kinder fanden gar keine Erwähnung in den Statements der Politiker:innen. Das ist sehr schade, denn marginalisierte und benachteiligte Familien sind noch mehr auf gute Rahmenbedingungen und zum Teil auch Unterstützung angewiesen als die „Standard-Familie“. In den Fragen aus dem Publikum war dies zum Teil sichtbar. Und dennoch erscheint es so schwer, die Vielfalt an Familien-Realität zu benennen und politisch zu beachten.
Wenn es jedoch um das Politikvertrauen von Bürger:innen mit oder ohne Kinder geht, muss sich der Blick der Abgeordneten vor allem auch auf jene richten, die oft genug nicht ausreichend wahrgenommen und berücksichtigt werden. Viel zu schnell geht es politisch und ging es auch bei der Podiumsdiskussion ums Rechthaben. Dabei sitzt die Expertise doch eigentlich im Publikum! Die Erfahrungen, die Sorgen, Ängste, Bedürfnisse und fehlenden Unterstützungen, die Wünsche und Ideen der Familien sind ja ganz real und präsent. Warum gelingt es nicht, diese zu hören und in die politischen Entscheidungen einzubeziehen?
Podiumsdiskussion "Kinder, Kinder: Politik!"
Was bleibt?
Was bleibt, ist der Eindruck, dass viel Gutes gesagt und gefragt wurde. Dass die Politiker:innen engagiert bei der Sache waren und das Publikums beindruckende und gehaltvolle Fragen und Statements eingebracht hat. Außerdem die Einsicht, dass es wirklich schwer ist, einer so vielfältigen Adressatengruppe wie Familien in einer Veranstaltung gerecht zu werden und alle zu berücksichtigen. Dass eigentlich doch alle Kanditat:innen und Parteien mehr für Familien erreichen und verbessern wollen. Liebe Politiker:innen, wir nehmen Euch beim Wort!
Trotzdem wünschen wir uns aber für das nächste Mal eine Veranstaltung, in der man wirklich gemeinsam darüber spricht, wie sich Gesellschaft gestalten lässt! Braucht es nächstes Mal also ein anderes Format? Vielleicht ein Umdrehen der Rollen, bei dem die Mandatskandidat:innen im Publikum sitzen und die Bürger:innen auf dem Podium? Oder treffen wir uns lieber zum gemeinsamen Thinktank am runden Tisch?
Wir würden uns freuen, wenn ihr uns mitteilt, was ihr dazu denkt! Wie war euer Eindruck der Veranstaltung? Was hat euch gefallen? Was hat euch gefehlt? Was wünscht ihr euch fürs nächste Mal? Schreibt es uns unter: ehrenamt@regensburger-eltern.de – dann holen wir die Familienpolitik auch in Zukunft wieder für Euch aufs Podium oder an den Tisch!