Über das Thema Stillen lässt sich vortrefflich streiten. Muttermilch ist das Beste für den Nachwuchs, aber bitte nicht zu lange die Brust geben und so weiter. Meinungen zum Thema gibt es viele. Aber wer bestimmt, wann die Stillbeziehung endet? Das sagen unsere Expertinnen.
Ich bin vor fünf Monaten Mutter geworden und wir sind sehr glücklich mit unserer Tochter Sarah. Auch mit dem Stillen klappt es - nach anfänglichen Schwierigkeiten - gut und ich genieße die Innigkeit, die wir dabei erleben. Damit auch mein Mann die Kleine über einen längeren Zeitraum allein betreuen kann, wollten wir jetzt mit Beikost beginnen und Sarah langsam abstillen. Als ich das einer Mutter aus meiner Babygruppe erzählt habe, war diese ganz empört und meinte, dass dann Allergien vorprogrammiert seien, sie Bindungsstörungen bekommen könne und Kinder selber bestimmen sollen, wann sie nicht mehr an der Brust trinken wollen. Sie selber habe ihren Großen länger als drei Jahre gestillt und er sei kerngesund. Jetzt bin ich verunsichert. Soll meine Tochter mitbestimmen, wann ich abstille und gibt es dafür den richtigen Zeitpunkt?
1Stillen hat nichts mit sicheren Bindungsbeziehungen zu tun
Wie schön, dass Sie und Ihr Mann mit Ihrer kleinen Tochter glücklich sind und dass es Ihnen miteinander gut geht! Das ist für die Entwicklung Ihrer Tochter das Wichtigste. Wenn die Eltern miteinander und mit dem Kind glücklich sind, dann begleiten sie ihr Kind feinfühlig und freudig. Ob und wie lange ein Kind gestillt wird, hat nichts mit der Feinfühligkeit der Eltern oder der Entwicklung von sicheren Bindungsbeziehungen zu tun. Sonst würden Kleinkinder ja auch keine sichere Bindungsbeziehung zu ihren Vätern oder auch anderen nahen Bezugspersonen aufbauen können. Schön, dass das mit dem Stillen mit Ihrer Tochter gut klappt und dass Sie diese innige Situation genießen können. Wie lange Sie Ihre Tochter stillen möchten, ist alleine Ihre Entscheidung. Es gibt nur wenige Studien, die einen Zusammenhang zwischen Stillen und geringere Entstehung von Allergien beim Kind nachweisen. Aber auch hier zeigt sich, dass diese positive Wirkung des Stillens nur für die ersten vier Monate bzw. evtl. sechs Monate nachgewiesen werden kann. Danach bringt das Stillen keine zusätzlichen Vorteile in Bezug auf Allergieprävention mehr. Insgesamt gilt die Studienlage in Bezug auf die schützende Funktion des Stillens als sehr vage. Im Gegensatz dazu ist die Studienlage zur Entstehung von sicheren Bindungsbeziehungen zwischen Mutter und Kind eindeutig: Liebevolle, feinfühlige Zuwendung der Mutter zum Kind führt zu einer sicheren Bindungsbeziehung zwischen Kind und Mutter. Eine sichere Bindungsbeziehung ist die beste Voraussetzung für eine gute Entwicklung des Kindes. Und es gibt keinen Zusammenhang zwischen Stillen, Feinfühligkeit und sicherer Bindung! Lassen Sie sich also nicht durch Kommentare von anderen Müttern verunsichern, sondern genießen Sie weiterhin Ihr gemeinsames Glück mit Ihrer Tochter. Wenn Sie abstillen möchten, ist das ganz alleine Ihre Entscheidung!
2Längeres Stillen ist ein Gewinn für Mutter und Kind
Zunächst die offiziellen Empfehlungen: nach WHO sollen Kinder sechs Monate ausschließlich gestillt werden und bis zum 2. Lebensjahr oder darüber hinaus weiterhin häufig nach Bedarf mit Bei- und Familienkost. Laut Nationaler Stillkommission sind sechs Monate ausschließliches Stillen für die meisten Säuglinge eine ausreichende Ernährung. Mit ergänzender Beikost sollte nicht vor dem fünften Lebensmonat und nicht später als zu Beginn des 7. Lebensmonats begonnen werden. Aus meiner Sicht ist längeres Stillen ein enormer Gewinn für die Gesundheit von Mutter und Kind! Mit circa sechs Monaten ist der kindliche Darm meistens reif für Beikost, wobei sich der Beginn der Beikost nach den sogenannten „Reifezeichen“ des Kindes richtet. Reifezeichen sind, wenn das Baby zeigt, dass es essen möchte. Das Kind greift nach der Nahrung der Eltern, es macht Kaubewegungen mit und beobachtet genau, wenn gegessen wird. Auch der Zungenstreckreflex, durch den das Essen automatisch wieder aus dem Mund geschoben wird, hat sich deutlich abgeschwächt. Idealerweise darf das Kind so viel und so lange an der Brust trinken, wie es dies braucht, wenn auch die Mama damit zufrieden und glücklich ist. Durch das Stillen werden elementare Bedürfnisse befriedigt: artgerechte Ernährung, viel Haut- und Körperkontakt. Wenn sich Mütter mehr Freiraum wünschen, können sie Muttermilch abpumpen und dem Papa mit Tasse oder mit der Flasche füttern lassen.
3Zu einer Stillbeziehung gehören immer zwei
Die Stillbeziehung von zwei Menschen ist etwas sehr Persönliches. Tatsächlich ist es meiner Meinung nach nicht möglich von der eigenen Stillbeziehung auf die eines anderen Stillpaares zu schließen. Ich persönlich denke, es gibt nicht nur schwarz oder weiß, sondern alle Farben des Regenbogens. Im Idealfall dürfen die Kinder mitbestimmen, aber es sollte in einem Rahmen passieren, in dem die eigene (mentale) Gesundheit nicht gefährdet ist. Auch kann man eine intakte Stillbeziehung führen, in der es großen Platz für den oder die Partner:in gibt. Das kann gelingen, indem der/die Partner:in dem Baby die vorher abgepumpte Milch füttert oder er/sie seine Exklusivzeit mit dem Kind anfänglich losgelöst von der Nahrungsaufnahme gestaltet. Bei allem, was wir als Eltern empfohlen bekommen und in der Fachliteratur nachzulesen ist, finden wir viel Allgemeingültiges, aber wenig Persönliches. Zu einer gutfunktionierenden Stillbeziehung gehören immer zwei und wenn eine:r nicht mehr möchte oder kann, dann kann das durch die Stillberatung beratend begleitet werden.
4Den "richtigen" Zeitpunkt gibt es nicht
Als Still- und Laktationsberaterin ist es mir besonders wichtig, dass die Bedürfnisse der stillenden Frau berücksichtigt werden. Die Stillbeziehung kann beendet werden, sobald es für das Stillpaar nicht mehr stimmig erscheint. Die WHO empfiehlt, sechs Monate ausschließlich zu stillen und auch während der Einführung der Beikost bis zum 2. Geburtstag weiter zu stillen bzw. solange es Mutter und Kind wollen. Mit einer längeren Stilldauer sinkt für das Stillkind das Risiko vor verschiedenen Infektionen, späterem Übergewicht und vielem mehr. Auch bietet es der Mutter einen erheblichen Schutz vor Brustkrebs, Diabetes, Bluthochdruck und Herzinfarkten. Eine australische Studie zeigt, dass eine kürzere Stilldauer (unter 6 Monaten) eine Variable für ungünstige psychische Gesundheit während des gesamten Entwicklungsverlaufs in der Kindheit sein kann.) Dennoch soll die Stillbeziehung eine innige, entspannte und friedvolle zwischen Mutter und Kind sein. Sofern das nicht mehr gegeben ist aus den unterschiedlichsten persönlichen Gründen, präferiere ich eine glückliche Mutter die sich für das Abstillen entschieden hat – denn jede Mutter möchte das Beste für ihr Kind. Wichtig im gesamten Prozess ist, dass das Abstillen nicht gleichzeitig mit der Einführung der Beikost gestartet wird, viele Kinder holen sich an der Brust körperliche Nähe und tanken Sicherheit. Dennoch schaffen es gestillte (Klein-)kinder, sich von der Mutter zu trennen und stellt kein Hindernis für die Betreuung durch andere Bezugspersonen oder die Rückkehr der Mutter in das Arbeitsleben dar. Einen „richtigen“ Zeitpunkt gibt es demnach nicht – den bestimmen Mutter und Kind.
Titelbild gemalt von Klara (10)