In der freien Wildbahn hätte sich unsere Tochter (2,5) mit ihrem neuen Essverhalten vermutlich keinen Wettbewerbsvorteil verschafft und auch aus ernährungswissenschaftlicher Sicht sind ihre derzeitigen Vorlieben etwas fragwürdig. Nudeln, Butter, Tomatensoße (aber nur wenn es unbedingt sein muss, Ketchup wäre noch besser). Einerseits freuen wir uns, dass unsere Tochter damit beginnt, ihre Persönlichkeit zu entdecken und Vorlieben zu entwickeln; bestimmte Bücher, Kleidungsstücke oder Spielzeuge nun lieber mag als andere – aber der Wandel, den sie in ihrem Essverhalten vollzogen hat, lässt uns mit einem weinenden Auge an die Zeiten zurückdenken, als gewürzfreier Pastinakenbrei ein kulinarischer Höhepunkt war und jede Art von Gemüse oder Obst ohne Murren und Knurren in ihrem kleinen Mund verschwand. Heute passiert es, dass sie nach zwei Bissen den Teller wegschiebt oder erst gar nicht probiert. Manchmal hilft es ein paar Nudeln unter dem Gemüse zu verstecken. Wir machen uns Sorgen, dass sich unsere Tochter zu einseitig ernährt und befürchten, dass sie nicht alle Nährstoffe bekommt, die sie braucht – wie können wir sie ermutigen, Obst und Gemüse wieder eine Chance zu geben?
1Freundliche Aufforderungen von freundlichen Erwachsenen
Ich habe eine gute Nachricht für Sie: Ihre Tochter hat einen sehr großen Wettbewerbsvorteil! In diesem Alter ist die so genannte „Neophobie“ ganz normal, sie schützt die Kinder davor, gefährliches Grünzeug zu essen, an dem sie sich vergiften könnten. Dass das heute kein so großes Problem mehr ist, können sie ja nicht wissen ... Machen Sie sich daher keine Sorge, dass das Kind sich zu einseitig ernährt. Die meisten Kinder fangen mit 2-3 Jahren plötzlich an, kein Gemüse mehr zu essen, und ernähren sich am liebsten von Nudeln und Brot. Diese Phase kann ihren Höhepunkt bis ins vierte Lebensjahr hinein haben und nimmt dann langsam wieder ab. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich Kinder bis zu 24 Monate lang relativ einseitig ernähren können, ohne dabei Schaden zu nehmen. Nun fragen Sie: Wie können wir den Kindern Gemüse, Obst und vielfältiges Essen wieder schmackhaft machen? Wir dürfen ein Kind niemals zum Aufessen oder probieren zwingen – das wäre kontraproduktiv. Kinder brauchen freundliche Aufforderungen von freundlichen Erwachsenen. Wir können den Kindern durchaus immer wieder Gemüse und Obst anbieten und selbst vielfältig essen. Lustige Gemüse-Gesichter zu bauen, sieht zwar nett aus, hat aber tatsächlich wenig Effekt. Kinder müssen einen fremden Geschmack bis zu zehnmal sehen riechen oder probieren, um sich daran zu gewöhnen. Dazu gehört, dass die Kinder die Freiheit haben müssen, das Essen auch auszuspucken. Schon an einem fremden Gemüse zu riechen, trainiert die Geschmacksknospen der Kinder und ist also völlig ausreichend. Und irgendwann geht es von alleine wieder vorbei – versprochen :)!
2Genuss steht an erster Stelle
Sie sollten sich nicht so stressen! Es gab in Regensburg eine alte, sehr, angesehene Familie mit sieben Töchtern, deren Mutter so wie Sie auch „viel Wert auf gesunde Ernährung“ legte und alles aus dem Reformhaus besorgte. Was zur Folge hatte, dass sich die Töchter bei uns auf alles stürzten, was bei Ihnen ganz unvorstellbar war: Schweinshaxen, Blut und Leberwürste, Krapfen mit viel Zucker usw. Scheinbar ist das Lebenkompensatorisch: alles was entsteht, erzeugt gleichzeitig wieder einen Mangel. Ich persönlich möchte Ihrer Zweijährigen einen recht guten Geschmack attestieren. Auch ich freue mich fast jeden Tag auf eine Salzbrezel mit Butter, mmmh ... . Und Nudeln mit Ketchup esse ich praktisch jeden Sonntagabend, früher auch öfters in der Nacht. Nach meiner Meinung sollten Sie aufhören „gesund“ zu kochen, vielleicht mit der Faustregel 1/3 Gemüse, 1/3 Kohlehydrate, 1/3 Fleisch. Stellen Sie den Genuss an 1. Stelle, nicht die Gesundheit. Sie merken es ja selbst: alles was Sie kontrollieren wollen – kontrolliert vor allem Sie selbst! Wenn Sie das einstellen – und Ihre Tochter bemerkt das mit Sicherheit – dann isst sie vielleicht sogar wieder Gemüse. Es kann werden wie beim HB Männchen (kennen Sie das noch?) ... dann geht alles wie von selbst.
3Alles ändert sich
Meine persönlichen Erfahrungen mit meinen Kindern hat mir gezeigt, dass jedes Kind seine eigenen Vorlieben beim Essen entwickelt. Diese können sich allerdings von Jahr zu Jahr ändern. Was gestern das absolute Lieblingsessen war, da bekommst du morgen den Kommentar „Das habe ich noch nie gemocht“ zu hören. Da heißt es, gelassen bleiben und dem Essen gar keine so große Bedeutung zu schenken. Bei manchen Gerichten hilft Gemüse in die Soße schummeln (z. B. geraspelte Karotten in der Hackfleischsoße). Bewährt hat sich auch Obst- und Gemüsestücke in mundgerechte Stücke zu schneiden und beim gemeinsamen Essen auf den Tisch zu stellen. Irgendwann greift das Kind dann auch zu einem gesunden Stück, wenn es sieht, dass die Eltern und Geschwister sich am gesunden Snack bedienen. Mit
2 1⁄2 Jahren geht’s aber wahrscheinlich weniger um das Essen, als um das „eigene Grenzen austesten“.
Titelbild gemalt von Klara (9)